Zum Hauptinhalt springen

Nur Fliegen ist schöner

Von Mathias Ziegler

Wissen

Getragen von der Luft, gleitet der Schirm zwischen den Berggipfeln dem Landeplatz entgegen. Die Faszination des Paragleitens kann man beim ersten Mal erst so richtig fassen, wenn man schon wieder festen Boden unter den Füßen hat.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Just auf der Fahrt vom Hotel Tannenhof in St. Johann zur Talstation der Gondelbahn in der Zaglau in Werfenweng kommt in den Nachrichten die Meldung, dass genau dort am Vormittag ein 26-jähriger Paragleiter abgestürzt und schwer verletzt worden ist. Das macht natürlich Mut, wenn man kurz davor steht, selbst mit einem Gleitschirm talwärts zu segeln. "Aber geh, es gibt überhaupt keinen Grund, sich zu fürchten", sagt Wolfgang Wimmer, der 30-jährige Gründer von Fly Tandem, mit dem ich heute einen Schnupper-Tandemflug absolvieren möchte. Möchte? Zugegeben, eigentlich war es mehr eine Art Dienstauftrag, nach dem Motto "Wir haben da ein Angebot bekommen, magst du das nicht ausprobieren - das passt doch super zum Heft mit dem Thema Fliegen…" Und der Journalist in mir hat über den Angsthasen gesiegt. Schließlich sollte man nur fürchten, was man kennt. Das habe ich mir ja damals, vor vier Jahren beim Fallschirmspringen, auch gedacht. Und rückblickend betrachtet war zwar der freie Fall aus knapp 4000 Metern doch recht unheimlich, das anschließende Zu-Boden-Gleiten hingegen war echt ein Erlebnis.

"Na bitte", sagt Wolfgang, "heute hast du nur das Gleiten ohne Fallen." Und das Risiko dabei? "Es kann nichts passieren, die Luft trägt uns. Garantiert. Und für den Fall der Fälle haben wir sogar einen Notschirm mit dabei." Dass es den Paragleiter am Vormittag zerbröselt hat, braucht mich nicht zu beunruhigen. Denn der Verunglückte war nämlich mit einem Kunstflugschirm unterwegs und hat sich in Bodennähe quasi einmal zu oft gedreht. "Das kann uns mit dem Tandemschirm gar nicht passieren, weil wir ganz anders gleiten", betont Wolfgang. Jetzt einen Rückzieher zu machen wäre, als würde ich nicht mit dem Pkw über die Autobahn heimfahren, weil zuvor der Russe Witali Petrow mit seinem Formel-1-Boliden beim Grand Prix in Monaco einen Crash hatte.

Da ich grundsätzlich rationalen Argumentationen zugetan bin, fahre ich also nicht allzu verunsichert die Gondelbahn zum Startplatz hinauf. Oben angekommen gehen wir noch einmal kurz durch, wie die kommende halbe Stunde ablaufen wird: Erst laufen, dann abheben, dann gleiten, dann sinken, dann sitzend landen (zu diesem Behufe haben wir ein luftgepolstertes Brett unter dem Hintern). So simpel? "Ja, so simpel", schmunzelt der Fluglehrer. Freilich nur für mich, denn er selbst muss ja den ganzen Flug über auf die Thermik achten und den Schirm entsprechend steuern, "während du den Flug einfach genießen solltest. Und wenn du willst, kannst du dann zwischendurch auch ein bisschen lenken, wenn wir weit genug entfernt sind von etwaigen Hindernissen und nichts passieren kann." Also dann, bringen wir es hinter uns, denke ich mir und lasse mich ins Tandemgeschirr schnallen. Jetzt, kurz vor dem Absprung, ist mir doch ein bisschen mulmig. Aber da wir ja zu zweit springen, vertraue ich darauf, dass auch mein Begleiter sicher unten ankommen will und ganz genau weiß, was er tut. Schließlich gleitet Wolfgang seit zehn Jahren, gemeinsam mit den Tandemparagleitern Jakob und Stefan, die gleichzeitig mit uns fliegen. Gemeinsam haben die drei die Firma Fly Tandem aufgebaut, die mit dem Vier-Sterne-Superior-Hotel Tannenhof zusammenarbeitet und auch noch andere Abenteuer anbietet. "Aber das Paragleiten macht mir am meisten Spaß", sagt Wolfgang, der heute schon zum fünften Mal startet. Ein typischer Sonntag für ihn, schließlich verdient er einen wesentlichen Teil seines Geldes mit Tandemflügen. Und das nicht ungern. "Es macht Spaß, wenn man wen zweiten mithat", meint er. Obwohl er es auch genießt, alleine zu fliegen. Nur er, der Himmel über ihm, das Pongauer Bergpanorama rund um ihn, die idyllischen Bergwiesen unter ihm und die Kontemplation in ihm. Mit seiner zweiten Firma, der Salzburg Adventures, bietet er zwar auch noch diverse andere Abenteuer wie Canyoning, Hochseilklettern oder Höhlentrips an - aber seine große Liebe ist seit zehn Jahren das Paragleiten.

Ein überwältigendes Gefühl.

Davon erzählt er, nachdem wir ein paar Schritte hangabwärts gelaufen und von der Kraft der Aerodynamik in die Luft gehoben worden sind. Ich bin allerdings noch anderweitig beschäftigt. Denn gleich mehrere überwältigende Gefühle stürzen auf mich ein. Einerseits ist es ein wahrhaft erhebendes Gefühl, tatsächlich im wahrsten Sinn des Wortes in der Luft zu hängen, mehrere hundert Meter über dem Boden. Andererseits bin ich damit beschäftigt, nicht daran zu denken, was passieren könnte, wenn wir doch abstürzen sollten. Und die Tiefenschärfe passt auch zunächst gar nicht - vermutlich, weil mein Organismus den veränderten Luftdruck nicht gewöhnt ist, was auch das nun doch aufgetretene flaue Gefühl im Bauch erklären würde. (Oder stammt Letzteres ganz einfach von dem wunderbaren Scheiterhaufen im Hotel, an dem ich mich vor der Abfahrt vermutlich überfressen habe? Andererseits, mit leerem Magen wollte ich auch nicht fliegen.)

Frei nach Goethe würde ich jetzt zwar gern dem Augenblick des ersten Paragleitens zurufen: "Verweile doch, du bist so schön!" Bloß klappt es mit dem Genießen noch nicht so ganz. Es ist keine Angst in dem Sinne - Verdatterung trifft es wohl eher. Wolfgang hat das natürlich längst bemerkt und schwankt sichtlich zwischen Mitgefühl mit dem Greenhorn und dem Schalk im Nacken des Routiniers. Und so meint er, nachdem er das Bergpanorama gepriesen und unsere aktuelle Flugroute erklärt hat: "Du kannst dich natürlich gern am Geschirr festhalten - aber wirklich notwendig ist es nicht. Du kannst die Hände ruhig auch entspannt hängen lassen." Das glaube ich ihm sogar. Und so lasse ich versuchsweise nicht nur den Griff los, sondern meinen Hintern auch noch ein bisschen legerer ins Sitzgestell hineinrutschen. Denn das erste flaue Gefühl verflüchtigt sich allmählich, und das Fliegen beginnt sogar richtig Spaß zu machen.

Nur mit der Tiefenschärfe tu ich mir immer noch ein wenig schwer. "Das ist aber völlig normal am Anfang", beruhigt mich mein Guide. Fürs Lenken würde ich mich selbst noch nicht tauglich erklären. Und so hält vorerst nur Wolfgang die Zugleinen in den Händen. Währenddessen beobachte ich die anderen Paragleiter, die rund um uns talwärts unterwegs sind, und lasse mir vom erfahrenen Piloten erklären, worauf er achtet, damit er die richtige Thermik, also einen guten Aufwind, erwischt: "Dunkle Flecken, wo die Sonne stark hingestrahlt hat und deshalb das Gras sattgrün ist." Denn warme Luft steigt auf - und damit auch unser Schirm.

Na dann, halten wir also Ausschau nach dunklen Flecken, um oben zu bleiben. Über 2000 Meter will Wolfgang mit mir allerdings nicht gehen, weil mir noch immer ein bisschen schummrig zumute ist. Nicht im Sinne von kotzübel oder furchtbar schwindlig, sondern mehr so, als hätte ich einen Damenspitz. Vielleicht ein kleiner Höhenrausch. Er lässt mich aber dann trotzdem auch einmal lenken, weil wir weit genug von jedem Hang entfernt sind, dass er im Notfall immer noch spielend korrigieren könnte, falls ich uns in ungewünschte Bahnen manövrieren sollte. Und das Lenken ist tatsächlich so simpel, wie er es geschildert hat: Will ich nach links, zieh ich links mehr am Seil; will ich nach rechts, zieh ich rechts mehr am Seil; will ich schneller fliegen, gebe ich beidseitig mehr Seil; will ich bremsen, zieh ich beidseitig etwas an. Auf- und Abstieg erledigt die Thermik. Nur kenne ich die halt im Gegensatz zu Wolfgang gar nicht, und so verlieren wir binnen kurzem an Höhe. Was ich persönlich schade finde, stört den Fluglehrer gar nicht so sehr. Schließlich ist die veranschlagte halbe Stunde ohnehin gleich zu Ende, und er visiert schon den Landeplatz an. Wo? Ach da! Meine Orientierung ist dermaßen durcheinandergekommen, dass ich alleine wohl nicht mehr zum Zielort gefunden hätte. Aber genau deswegen ist es ja ein Tandemflug.

Und dass er letztlich kürzer ausgefallen ist, als ich es mir im Nachhinein gewünscht hätte - mittlerweile sind wir sanft auf dem Gras gelandet (das Luftkissen hat meinen Hintern wirklich weich abgefedert) -, ist ganz im Sinne des Paragleitprofis: "Mir ist es viel lieber", erklärt Wolfgang, "wenn den Leuten der Flug zu kurz vorkommt und sie gleich nochmal starten wollen, als wenn sie sich vielleicht oben fadisieren oder womöglich sogar kotzen müssen, weil ihnen schlecht geworden ist." Spricht’s, zückt seine Visitenkarte nebst Adventure-Angebotsfolder und lädt mich ein, wiederzukommen. Nächstes Mal dann zum Schnuppergleiten mit bodennahem Alleinflug. Und ich muss zugeben: Es juckt mich jetzt schon, wo ich noch im Gras sitze und Wolfgang dabei zuschaue, wie er den Schirm für seinen nächsten Flug zusammenrollt.

Fly Tandem.

Infos & Anmeldung: T: 0650/826 33 61, info@flytandem.at, www.flytandem.at

Salzburg Adventures.

Infos & Anmeldung: T: 0680/326 67 67, office@salzburgadventures.com, www.salzburgadventures.com

Partner-Hotel Tannenhof.

Alpines Lifestyle Hotel Tannenhof, Familie Viehhauser, Alpendorf 3, 5600 St. Johann im Pongau; T: 06412/5231, www.hotel-tannenhof.at