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Nur jeder siebente Migrant will eingebürgert werden

Von Christoph Rella

Politik

Arbeit und Bildung wichtiger als Pass. | Stoisits: "Grund ist schärferes Gesetz." | Wien. Seit mehr als 20 Jahren lebt Memet B. mittlerweile schon in Österreich. Die Staatsbürgerschaft seines Gastlandes hat der gebürtige Türke, der in einer kleinen Gemeinde im Süden Niederösterreichs lebt, im Jahr 2002 erhalten.


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Alles wunderbar, möchte man meinen. Und trotzdem ist der Neo-Österreicher mit seiner derzeitigen Situation nicht zufrieden. Grund: Er ist arbeitslos. Die Tatsache, dass er mittlerweile österreichischer Staatsbürger ist, habe ihm bei seinen Problemen nicht geholfen, sagt er. Dabei sei für ihn, den mehrfachen Familienvater, der neue Pass gar nicht wichtig: "Was ich dringend brauche, ist eine Arbeit."

Dass für viele Ausländer die Einbürgerung nach wie vor ein nachgeordnetes Ziel ist, glaubt auch Heinz Fassmann vom Institut für Regionalforschung an der Universität Wien. Seine These: Je höher der sozio-ökonomische Status, desto größer ist auch das Interesse, um die Staatsbürgerschaft anzusuchen. "Was aber nicht umgekehrt bedeutet, dass eine Einbürgerung automatisch zu mehr Wohlstand führen muss", erklärt der Experte - und verweist auf eine aktuelle Statistik des Instituts.

Folglich hätten allein im Jahr 2009 rund 50.000 Ausländer, die 1999 nach Österreich zugewandert waren, um den Pass ansuchen können. "In Realität gab es aber nur 7990 Verleihungen, das entspricht einem Prozentsatz von gerade einmal 14,4 Prozent", betont Fassmann.

40.000 Einbürgerungen

Gemessen an den absoluten Zahlen sei vor allem die Anzahl der Anträge, die von Ex-Jugoslawen und Türken - die mehrheitlich der Unterschicht angehören - eingebracht wurden, "überraschend gering", erklärt der Experte. Ebenfalls eine Rolle spiele die Tatsache, dass potenzielle Österreicher von verpflichtenden Deutschtests und hohen Gebühren abgeschreckt würden.

Geht es nach der grünen Volksanwältin Terezija Stoisits, so ist der starke Rückgang bei den Verleihungen - immerhin hatten im Jahr 2004 noch rund 40.000 Personen den österreichischen Pass erhalten - auf die Verschärfungen im Staatsbürgerschaftsgesetz von 2005 zurückzuführen. Ihre Kritik richtet sich unter anderem gegen die Neuregelung der Voraussetzungen für beabsichtigte Einbürgerungen: Demnach müssen potenzielle Österreicher mindestens zehn Jahre im Land gelebt haben sowie den Behörden "feste regelmäßige Einkünfte" nachweisen. "Hat somit zum Beispiel ein Bewerber einmal Sozialhilfe bezogen, ist er automatisch für mindestens drei Jahre von einer Einbürgerung ausgeschlossen", erzählt Stoisits, die es ebenso als skandalös empfindet, dass etwa uneheliche Kinder, die zwar eine ausländische Mutter, dafür aber einen österreichischen Väter haben, vor dem Gesetz nicht als Österreicher anerkannt werden.

Im Innenministerium will man wiederum die vorgenommen Verschärfungen beim Staatsbürgerschaftsgesetz nicht zurücknehmen - und über zusätzliche Änderungen bei Doppelstaatsbürgerschaften, Adoptionen und Deutschtests nachdenken. Änderungen, die Memet B. nicht mehr betreffen werden. "Ich bin sehr froh, in Österreich zu leben", betont er. "Fehlt nur mehr ein Job. Das wäre schön."