Nehammer hat keine Kanzlerrede gehalten - Gott sei Dank!
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War es eine Zen-artige Selbstbeherrschung von Magnus Brunner, dass der Finanzminister bei der Rede des Bundeskanzlers nicht ein einziges Mal gehüstelt hat, oder ist es nun Programm der ÖVP geworden, mehr staatliche Ausgaben bei geringeren Einnahmen zu fordern?
In der Konsequenz hat Karl Nehammer genau dies getan, nämlich mehr Investitionen bei geringerer Steuerquote gefordert. Nicht ein einziges Mal kam er auf die budgetäre Lage zu sprechen. Er hätte ja nicht gleich das alte ÖVP-Dogma des Nulldefizits auspacken müssen. Aber zumindest eine kurze Erwähnung, wie man sich die Haushaltsplanung bis 2030 vorstellt, wäre angesichts der steigenden Zinsen kein Fehler gewesen.
In diesem Punkt kann man nur hoffen, dass es eben keine Kanzlerrede war, sondern die eines Parteichefs. Ob es wünschenswert ist, dass politische Ideen so formuliert werden, dass im Kleingedruckten bereits ihre Unfinanzierbarkeit vermerkt ist, steht auf einem anderen Blatt.
So gut wie alles, was Nehammer am Freitag sagte, hatte er auch davor schon gesagt. Nur nicht alles auf einmal. Und das, was er noch nicht gesagt hatte, kannte man von Sebastian Kurz. Etwa die Kürzung der Sozialleistungen für Ausländer und Sach- statt Geldleistungen für Asylwerber.
Es war wohl Ziel der Übung, zu signalisieren, dass es so gut wie keine inhaltlichen Brüche gibt. Die ÖVP bleibt klar rechts der Mitte positioniert, wobei zur Untermalung dessen auch auf wohlbekannte Reizwörter ("Gendern", "Fahrrad", "Klimakleben") zurückgegriffen wurde. Dazu passte auch, dass Johanna Mikl-Leitner am selben Tag für Niederösterreich eine Koalition mit der FPÖ avisierte und ihre Volkspartei "viel näher" an den Blauen als an der SPÖ verortete.
Dass es eine Parteichef- und keine Kanzlerrede war, zeigte sich auch darin, dass Nehammer seine Partei vor jeglichen Zumutungen verschonte. Es gab nicht einmal eine Irritation. Bei der Zweckwidmung der Wohnbauförderung tat der ÖVP-Chef zwar so, doch das steht im aktuellen Regierungsprogramm, der Schock der Landeschefs dürfte sich in Grenzen gehalten haben.
Mit dem Auftritt ist jedenfalls klar: Ein großer Reformer wird Nehammer nicht mehr. Das ist auch in Ordnung so, doch beim Klimaschutz waren die Ausführungen ernüchternd. Auf Innovationen zu setzen, ist schon richtig. Gerade angesichts der dystopischen Herausforderung ist Resignation eine Gefahr. Und Innovation wird man sicher benötigen. Doch nur darauf zu setzen, wie es Nehammer insinuierte, ist fahrlässig. Man kann auch die Lebensplanung nicht auf einen Lottogewinn ausrichten. Ja, alles ist möglich, aber Politik muss sich am Wahrscheinlichen orientieren. Und Innovation allein löst das Problem nicht.