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Nur König, Fußball, Fritten vereinen Belgien- aber wie löst man es auf?

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Belgien wird nicht überleben. Zwar sind sich alle einig, dass sich Flandern im Norden und Wallonien im Süden nicht in den nächsten Jahren trennen werden. Doch für die Einheit des Landes in drei oder vier Jahrzehnten will niemand die Hand ins Feuer legen. Denn schon heute verbinden die beiden Landesteile nur noch der belgische König Albert II., die gemeinsame Fußballmannschaft und die berühmten Fritten. Die Spaltung findet bloß deshalb nicht demnächst statt, weil niemand weiß, was mit der Hauptstadt Brüssel geschähe, einer mehrheitlich französisch-sprachigen Insel in Flandern, wo Niederländisch gesprochen wird. | Die beiden Landesteile trennen nicht nur Sprache und Kultur. Sie haben eigene Zeitungen, Radio- und TV-Sender und wählen ihre eigenen Parteien. Weil die Wallonen keine flämischen Politiker wählen dürfen, haben diese auch keinerlei Motivation, sich für wallonische Interessen einzusetzen und umgekehrt. Nach den Wahlen treffen einander Politiker, die kaum gemeinsame Anliegen haben, zu Koalitionsverhandlungen für eine belgische Regierung. Die dauerten nach den letzten Wahlen zehn Monate.


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Am Sonntag gewinnt im bevölkerungsreicheren Norden wahrscheinlich die separatistische Neue Flämische Allianz (N-VA), im Süden (rund 40 Prozent der Einwohner) werden es wohl die französisch-sprachigen Sozialisten sein. So gut wie alle flämischen Parteien sprechen derzeit von einer Konföderation zwischen Flandern und Wallonien, was nach der eigentlichen Wortbedeutung ein Bund zweier unabhängiger Staaten ist. Gemeint ist vorläufig eine tiefgreifende Staatsreform, nach der vor allem die Budgetkompetenzen den Regionen zufallen sollen. So möchten die Flamen ihre milliardenschweren jährlichen Transferleistungen an den Süden eindämmen.

Mit ähnlichen Slogans erhielt schon der gescheiterte Premier Yves Leterme von den flämischen Christdemokraten (CD&V) vor drei Jahren 800.000 Vorzugsstimmen in Flandern. Das Ergebnis waren drei Jahre politisches Chaos. Jetzt ist die N-VA am lautesten und macht kein Hehl daraus, dass es sich nur um einen Zwischenschritt in Richtung unabhängiges Flandern in der EU handeln soll. Davon wollen die Wallonen nichts wissen. Gemeinsam plädieren fast alle frankophonen Parteien für die Stärkung des Zentralstaats. Alle Anliegen der Flamen blockieren sie per Veto, das ihnen die belgische Verfassung als kleinerem Landesteil garantiert.

Die Schwachstelle an den flämischen Trennungsplänen ist, dass niemand auch nur den Hauch einer Idee hat, wie Brüssel aufgeteilt werden könnte. Dass es als unabhängige europäische Hauptstadt überleben könnte, glaubt kaum einer. Denn die Stadt ist Belgien im Kleinen: 19 Bürgermeister, die jeweils nur den Wählern ihrer Gemeinde verantwortlich sind, versuchen sie gemeinsam zu regieren.