Zum Hauptinhalt springen

Nur mit Verrückten an die Macht

Von Walter Hämmerle

Kommentare

Bürgerliche Mainstream-Politiker haben gemeinhin in Großstädten keine Chance auf Wahlerfolge. Dazu braucht es schon unorthodoxere Machttypen. Stabil sind solche Verhältnisse jedoch selten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Konservative Politiker bewegen sich im ländlichen Raum wie die Fische im Wasser. In der großen weiten Stadt dagegen fühlen sie sich eher verloren, sie ist seit jeher das Revier

der Linken. An diese sozio-

demographischen Grenzziehung halten sich die politischen Lager im Wesentlichen bis heute.

Dennoch ist es konservativen Parteien in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, die strukturelle politische Hegemonie der Sozialdemokratie im urbanen Raum zu brechen. In den seltensten Fällen waren dafür grundsätzliche weltanschauliche Positionen ausschlaggebend, entscheidend war vielmehr eine kurzfristige Allianz zwischen dem etablierten Bürgertum und all jenen, die den urbanen Lebensstil schätzen, aber sich längst nicht mehr in herkömmliche politische Kategorien pressen lassen.

Solche Allianzen werden nicht mehr ideologisch unterfüttert. Ihr größter gemeinsamer Nenner ist ein Spitzenkandidat, der alle bestehenden Unterschiede zwischen seinen Wählern kraft seiner Persönlichkeit in den Hintergrund zu drängen vermag.

Nachdem solche Politiker-Typen nicht die genormten Karriereanforderungen der Parteien erfüllen, gelangen sie nicht auf geordnetem Weg an die Schalthebel der kommunalen Macht. Dazu muss eine Partei schon hartnäckig in einem tiefen Jammertal gefangen sitzen, dass sie in ihrer Verzweiflung ihr Schicksal einem solchen Verrückten anvertraut.

Perfekt in dieses Muster passt zweifellos Boris Johnson, der 2008 London für die Tories erobern konnte. Der 46-jährige frühere Journalist und Talkshowmaster, dessen Äußeres, nun ja, sagen wir verwahrlost aussieht, hat radikal nichts mehr mit den altehrwürdigen gediegenen Konservativen zu tun, als die man sich die Tories gemeinhin vorstellt. Auf die Londoner, die schon immer viel auf ihre Hipness hielten, entfaltete er dafür eine ungeahnte Anziehungskraft.

Ole von Beust gelang es 2001, in der Rolle des hanseatischen Sonnyboys Hamburg nach vier Jahrzehnten SPD-Dominanz für die CDU zu erobern. Dass er sich anschließend als homosexuell outete und die erste schwarz-grüne Koalition in Deutschland auf Landesebene zimmerte, machte ihn bei seinen Landsleuten nur noch beliebter. Mit seinem freiwilligen Abgang vorigen Sommer endete dieses Experiment allerdings nunmehr für die CDU im Fiasko - samt absoluter Mehrheit für die SPD.

In Österreich fehlt es im bürgerlich-liberalen Lager nicht nur an einem ausreichenden Reservoir von - im positiven Sinne - verrückten Persönlichkeiten, die nicht nur Lust auf, sondern auch Ahnung von Politik haben. Und an einer Partei, die deren Zugkraft auch zu schätzen wüsste. Die Wiener ÖVP ist es jedenfalls nicht.