In einem als historisch bezeichneten Schritt hat die ehemalige Kolonialmacht Belgien die Verwicklung in die Ermordung des ersten gewählten Ministerpräsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Patrice Émery Lumumba, im Jänner 1961 bedauert. Zuvor hatte eine parlamentarische Untersuchungskommission in über einjähriger Recherche eine - wenn auch nur "moralische" - Verantwortung belgischer Regierungskreise, Offiziere und Diplomaten an der Tat festgestellt.
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Außenminister Louis Michel drückte am Dienstag im Namen der Regierung und in Anwesenheit der beiden Söhne Lumumbas, François und Roland, allen Angehörigen des ermordeten afrikanischen Freiheitshelden sein tiefstes Bedauern aus. "Bestimmte Mitglieder der belgischen Regierung und belgische Akteure im Kongo tragen eine unwiderlegbare Verantwortung an den Vorkommnissen, die zum Tod Patrice Lumumbas geführt haben", fasste Michel vor dem Plenum die Ergebnisse der parlamentarischen Lumumba-Kommission zusammen.
Der Bericht der Kommission, der im November 2001 vorgelegt wurde, ist freilich selbst ein politischer Kompromiss und vermeidet es, Schuldige beim Namen zu nennen. Er geht aber davon aus, dass die damalige Regierung und König Balduin von den Mordplänen gewusst und nichts zu deren Vereitelung unternommen haben. So hat Brüssel im Herbst 1960 ein alarmierender Rapport des Obersten Guy Weber über eine Zusammenkunft des Herren von Katanga, Moïse Tschombé, mit dem starken Mann von Léopoldville und späteren Langzeit-Diktator, Oberst Joseph Désiré Mobutu, vorgelegen. Bei dem Treffen beschlossen die beiden Warlords des postkolonialen Bürgerkriegs, ihren Nichtangriffspakt durch die "physische Neutralisierung" des gewählten Ministerpräsidenten Lumumba zu besiegeln. Belgische Polizisten und Offiziere waren bei Lumumbas Verschleppung nach dem abtrünnigen Katanga anwesend, und Belgier waren es auch, die seine Leiche nach drei Tagen wieder ausgruben und im Salzsäurebad auflösten. Wie es heißt, standen sie unter katangischem Befehl. Ein Mordauftrag seitens der ehemaligen Kolonialmacht wurde von der Untersuchungskommission in Abrede gestellt.
Ein Lehrbeispiel für nachkoloniale Interventionspolitik
Nur allzu deutlich geht aus dem Bericht aber hervor, wie die ehemaligen Kolonialherren auch nach ihrer Entmachtung versuchten, in dem rohstoffreichen Land Einfluss zu nehmen. Es wird auch gar nicht geleugnet, dass die - angeblich nur politische - "Eliminierung" des charismatischen Volksführers und antikolonialen Idols vom belgischen und auch vom amerikanischen Geheimdienst sehnlichst herbeigewünscht (und als Planspiel durchexerzeiert) wurde. Lumumba war, ein Jahr nach der Unabhängigkeit von Belgien, drauf und dran, sich bei den Sowjets Hilfe zu holen, nachdem die Bergbauprovinz Katanga sich mit westlicher Unterstützung für unabhängig erklärt hatte. Die russische Option besiegelte sein Todesurteil, seine faktische Auslieferung an Tschombé und Mobutu konnte in Zeiten des Kalten Krieges als politische Notwehr verstanden werden und nicht als der Schacher um Bodenschätze, der sie tatsächlich war.
François Lumumba begrüßte Belgiens Eingeständnis als "mutigen Schritt"; Brüssel will nun jährlich 3,75 Mill. Euro (51,6 Mill. S) in eine Stiftung zur Förderung der Demokratie im Kongo einzahlen, die Patrice Lumumbas Namen trägt.