Jeder hat gesagt, es geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und machte es einfach. Ob der Vorsitzende des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger so einer ist?
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"Wenn man seit langem die Diagnose über das österreichische Gesundheitssystem kennt, wenn man alle Daten, Fakten und Zahlen am Tisch hat und trotzdem nichts unternimmt, um den drohenden Kollaps oder sogar Infarkt abzuwenden, dann ist das Selbstmord mit Anlauf."
So etwas hört man nur von Experten, die es sich leisten wollen, nach dem Motto "Viel Feind viel Ehr" zu leben. Von hohen System-Vertretern ist das nicht zu hören. Dr. Hans Jörg Schelling war da immer schon anders. Schon während der ersten Monate seiner Tätigkeit als Vorstand im Hauptverband war von ihm noch mit harter (Selbst)Kritik zu rechnen. Nach einer Zeit relativer Zurückhaltung meldete er sich nun stark zurück. Acht bis zehn Milliarden Euro Schulden (100 Prozent Verschuldung, gemessen am Jahresumsatz) lägen in den Spitälern verborgen und Unwilligkeit wird als Unmöglichkeit getarnt - so etwas hört man nicht gerne.
Ob jedoch brennende Reden ausreichen? Die Länder blockieren selbst unter Bruch von Gesetzen und m.E. sogar der Verfassung. Das darf nicht verwundern, hat doch heute eine rechtlich nicht einmal vorhandene Landeshauptleutekonferenz mehr Macht, als die vielen legislativen Einrichtungen, von Landtagen, über Bundesrat bis zum Nationalrat.
Wenn also Schelling wirklich etwas ändern will, dann müssen mutigen Reden noch mutigere Taten folgen. Und da gäbe es tatsächlich etwas! Die stationäre Spitalsversorgung (ohne Ambulanzen) kostet etwa acht Milliarden Euro, 3,5 Milliarden davon kommen von den Kassen. Pro Patient heißt das, dass die Kassen von etwa 3200 Euro 1400 Euro beisteuern.
Dass in Österreich viel zu viel im Spital behandelt wird, ist Allgemeinwissen. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle in der EU, mit 20, die EU mit 17, die Niederlande gar nur mit 11 aus.
Was also, wenn der Hauptverband hergeht und pro Aufnahme, die seine Vertragspartner, die Kassenärzte, nachweislich verhindern, einfach 1000 Euro einbehält. 500 Euro kriegen die Kassenärzte und 500 werden zum Schuldenabbau verwendet. Was hätte das für Folgen?
Die Kassenärzte würden mehr verdienen, allerdings nur, wenn sie auch versorgungswirksamer werden - es ist also nicht nur eine Gehaltserhöhung, sondern ein echter Leistungsanreiz, der wirklich ambulant vor stationär fördert.
Gleichzeitig würden jene, vorwiegend kleinen, Spitäler, die zu einem Gutteil von unnötigen Aufenthalten leben, unter noch größeren Druck geraten, Der Druck wäre so groß, dass die Länder über Spitalsreformen reden müssten, sollen ihre Defizite nicht in astronomische Höhen schnellen.
In den großen Spitälern wiederum würde viel sinnlose Arbeit wegfallen, weil Patienten, die nicht ins Spital gehören, nicht mehr da sind. Die Ärzte könnten sich wieder auf "echte" Fälle konzentrieren. Auch entstünden Freiräume, die dringend nötig sind, um die Ausbildung der Jungärzte auf ein "normales" Niveau zu heben und den Spitalsärzten Zeit zur Fortbildung zu verschaffen. Und alles zusammen würde patientenfreundlicher und qualitativ besser werden!
Das wäre toll, würde aber Blut, Schweiß und Tränen kosten; denn, Länder und Interessengruppen - immerhin verdienen sehr viele mit überflüssigen Spitälern sehr bequem ihr Geld - werden alles tun, das zu verhindern. Es würde Klagen hageln. Aber das ginge vorbei und ein mutiger Redner könnte als mutiger Sozialreformer in die Geschichte eingehen.
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.