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Nur Mut zur Unbescheidenheit!

Von Hermann Sileitsch

Analysen

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Es ist ein sperriges Thema: "Wirtschaftliche Ungleichgewichte" klingt schon so abstrakt, dass prompt das große Gähnen einsetzt. Dabei handelt es sich um keine Ökonomen-Spinnerei, sondern um die essenzielle Frage für den Fortbestand der Eurozone: Schafft es die Währungsunion, ihr Auseinanderdriften zu stoppen, oder nicht?

Die Hypothese, dass eine gemeinsame Währung und Geldpolitik schon dafür sorgen würden, dass Staaten, die nachhinken, rascher zur Führungsgruppe aufschließen, darf als Euro-Gründungsmythos entsorgt werden. Die Währung hat eine Zeit lang allen ermöglicht, sich supergünstig zu verschulden. Einige Länder haben das aber nicht dazu genützt, sich für den Weltmarkt zu rüsten, sondern stattdessen ein Konsum-Strohfeuer abgefackelt.

Diese Party ist vorbei und wird nicht zurückkehren. Als Folge davon divergiert die Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone stärker denn je - was eine Währungsunion auf Dauer nicht aushalten kann. EZB-Chef Mario Draghi hat jüngst zu Recht betont, dass die Geldpolitik der Zentralbank diese Heterogenität nicht beseitigen kann - das ist Aufgabe der Politik.

Dabei haben aber nicht nur die Sorgenkinder Handlungsbedarf, sondern auch die Musterknaben. Wie sehr die Schere im Euroraum in beide Richtungen aufgegangen ist, zeigt exemplarisch die Entwicklung der Brutto-Löhne (siehe Grafik oben). Bei allen legitimen Vorbehalten gegenüber dieser Kennzahl: Sie zeigt, dass in Griechenland, Spanien und Irland die Einkommen kräftig angezogen haben - bei Italien und Portugal geht die Kritik am Kern vorbei.

Und: Es ist schon signifikant, dass in Deutschland die Löhne seit 2000 nur um 18 (!) Prozent gestiegen sind. Just das wirtschaftliche Zugpferd ist abgeschlagenes Euro-Schlusslicht. Nun mag so mancher Ökonom argumentieren, Deutschland stehe deshalb so gut da, weil sich die Arbeitnehmer mit Lohnforderungen zurückgehalten haben. Stimmt. Aber das geht zulasten der Handelspartner. Eine Abwärtsspirale kann in einer Währungsunion ebenso schädlich sein wie ein Hochlizitieren der Löhne.

Auf die EU sollte man nicht als Moderator zählen. Sie hat zwar ein "Scoreboard" entworfen, das helfen soll, ungesunde Entwicklungen auszugleichen. Wie so oft endete die Übung aber mit einem Kuhhandel: Die Hürden wurden so gelegt, dass Deutschland gerade noch durchschlüpfen konnte.

Mehr Hoffnung machen da schon die deutschen Arbeitnehmer. Sie sollten weiterhin Mut zur Unbescheidenheit zeigen - die ersten Tarifabschlüsse des heurigen Jahres deuteten schon auf ordentliche Lohnzuwächse hin. Für Europas rezessionsgefährdete Konjunktur kann das nur gut sein. Und die deutsche Wirtschaft wird es verkraften.