Im Atomstreit zwischen dem Westen und dem Iran wird die Zeit knapp. Alles hängt vom politischen Willen beider Seiten ab.
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Genf/Teheran/Wien. 31 Tage noch, dann läuft die nächste Deadline für ein Rahmenabkommen zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe (fünf UN-Vetomächte plus Deutschland) ab.
Eine weitere Verlängerung schließen beide Seiten aus, wenn es bis dahin keinen Rahmenkonsens gibt. Dementsprechend hektisch sind die Bemühungen, bis
Ende März einen politischen Deal zu erzielen: Zum Thema tagt zum einen ab Montag den Gouverneursrat der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Zum anderen sollen die jüngsten politischen Verhandlungen in Montreux am Genfer See auf höchster Ebene ab Dienstag weitergeführt werden.
Worum geht es der IAEA? Laut ihrem jüngst vorgelegten Bericht verweigert Teheran weiterhin bei zwei von fünf Punkten, die die Atombehörde im Mai mit dem Iran vereinbart hatte, die volle Zusammenarbeit. Die IAEA vermisst einen Informationsaustausch über eine angebliche Durchführung von Experimenten mit Hochexplosiv-Stoffen und über Modellrechnungen für Atomexplosionen. Bereits im vergangenen August hätte Teheran eine Antwort geben sollen.
In Montreux sollen die vier Hauptdiskrepanzen auf beiden Seiten reduziert werden: die Anzahl der iranischen Zentrifugen, der Zeitplan für die Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Teheran und die Gültigkeitsdauer eines Abkommens. Letztlich ist die Frage, ob und wieweit das iranische Raketen- und Waffenprogramm thematisiert wird.
Die Stimmung ist momentan geprägt von Zweckoptimismus und Hoffnung. Dennoch: Trotz einiger "guten Fortschritte" bei den vergangenen Verhandlungsrunden in Genf und Istanbul gebe es noch "eine gewisse Distanz zu bewältigen", betonen europäische Diplomaten im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Ein politischer Rahmenkonsens ist grundsätzlich bis Ende März möglich. Ich sage nicht, dass er wahrscheinlich ist, aber er ist denkbar", so ein Diplomat. Momentan seien jedenfalls alle Seiten bemüht, den zwölf Jahre andauernden Disput rund um die iranische Urananreicherung möglichst zeitnah zu entschärfen, so der Tenor. An einen "Plan B" für den Fall, dass die Gespräche ergebnislos verlaufen, wagt derzeit niemand zu denken. "Stellen Sie sich auf einen hektischen Verhandlungsmarathon im März ein, denn wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu einem Ergebnis zu erlangen", kündigt der Diplomat an. Gelingt ein Rahmendeal bis Ende März, dann würden die Details bis zur nächsten Frist Ende Juni ausgearbeitet werden.
Irans Chefverhandler und Vizeaußenminister Abbas Araghchi erklärte gegenüber iranischen Medien, dass die 5+1-Verhandlungen mit dem Iran die Interessen beider Seiten berücksichtigen und auf eine Win-win-Lösung hinauslaufen sollten. Der Iran werde aber den Gesprächstisch verlassen, wenn ihm kein Respekt entgegengebracht werde.
Indes versucht Israel, die Bemühungen um eine Lösung im Konflikt zu torpedieren. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wird nächste Woche in Washington ohne Absprache mit der US-Regierung eine Rede vor dem republikanisch dominierten Kongress halten, um vor einem "schlechten Deal" mit dem Iran zu warnen.
US-Außenminister John Kerry zeigt deutlich, was er vom Besuch Netanyahus in Washington hält, und begibt sich gleichzeitig eifrig auf Reisen. Auch Präsident Barack Obama weigert sich, den israelischen Politiker zu treffen. Sogar US-Vize-Präsident Joe Biden muss laut seinem Büro "kurzfristig eine Auslandsreise tätigen". Somit will die US-Führung deutliche Distanz zu Netanyahu zeigen. Kerry, der die USA bereits am Wochenende verlassen will, wird zunächst in die Schweiz fliegen, um dort drei wichtigen Missionen nachzugehen: ein klärendes Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow wegen der Ukraine, Syrien und des Iran, die Teilnahme am UN-Menschenrechtsrat in Genf und die Fortführung der Atomgespräche mit dem iranischen Chefverhandler und Außenminister Mohammad Javad Zarif in Montreux.
Doch die Reiselaune des US-Chefdiplomaten ist damit noch nicht ausgeschöpft. Von der Schweiz aus will er dann zum nächsten "Problemkind", Saudi-Arabien, reisen. Die saudisch-amerikanischen Beziehungen waren zuletzt wegen des "Islamischen Staats" (IS), der US-Annäherung an Teheran und der Menschenrechtssituation in Riad angeschlagen. Sie sollen in einem Gespräch mit dem neuen König Salman (80) entgiftet werden. Auch der Jemen und andere Konfliktherde in der Region sollen hierbei thematisiert werden.
Direkt nach seinem Aufenthalt in Riad geht es dann weiter nach Großbritannien, wo der US-Diplomat die Außenminister des Golf-Kooperationsrates treffen will. Auch hierbei steht der IS ganz oben auf der Agenda. Dass Netanyahu die US-Topvertreter nicht treffen wird, ist ein klares Signal. Offiziell heißt es zwar, man wolle den Eindruck vermeiden, sich kurz vor der israelischen Parlamentswahl am 17. März in die Innenpolitik des Landes einzumischen. Doch hinter vorgehaltener Hand sprechen manche Beobachter schon von einem Riss in den Beziehungen zwischen Jerusalem und Washington.
Sollte ein politischer Rahmen-Deal im Nuklearkonflikt in Kürze gelingen, könnte sich dieser Riss noch vergrößern. Netanyahu riskiert mit seiner Reise kurz vor der Wahl auch Auswirkungen: Die Umfragewerte für seine Likud-Partei sind nach der Ankündigung der Reise in die USA gesunken. Er liegt nun gleichauf mit der Mitte-Links-Opposition. Zuvor war hatte seine Partei für die Wahl der 120 Abgeordneten bei Umfragen die Nase um vier bis fünf Sitze vorn. Vor allem unentschlossene Wähler könnten sich nun abwenden, hieß es von Wahlbeobachtern. Selbst wenn er gewinnen würde, könnte das Weiße Haus ihm zukünftig den Rücken kehren.