Auch wenn die Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beim Hauptverband geeignet ist, diesbezügliche Hoffnungen zu wecken: Für den Wiener Politologen Emmerich Tálos ist eine Wiederbelebung der klassischen Sozialpartnerschaft "völlig ausgeschlossen".
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Und der renommierte Kenner der Sozialpartnerschaft nennt im Interview mit der "Wiener Zeitung" gleich mehrere Gründe für seinen Befund: An erster Stelle steht für ihn die in den letzten Jahren vor sich gegangene Entwicklung weg von einer Verhandlungs- hin zu einer Mehrheitsdemokratie, die Entscheidungen auch gegen den Willen der Minderheit durchsetzt. Hinzu kommt, dass den Verbänden durch den EU-Beitritt wesentliche inhaltliche Bereiche, vor allem die Währungspolitik, abhanden gekommen sind, die nun auf europäischer Ebene geregelt werden. Damit hätten sich den Sozialpartnern zwar auch neue Gestaltungsräume eröffnet, diese seien jedoch ungleich verteilt, argumentiert Tálos: "Die Wirtschaft hat in Brüssel die besseren Durchsetzungsmöglichkeiten."
Ein Zurück zur Sozialpartnerschaft alten Stils ist für Tálos schon allein deshalb nicht möglich, weil sich die Interessen ungleich mehr in entgegengesetzte Richtungen entwickelt haben. Zudem sei heute die Beziehung der Regierung zu den Dachverbänden "substanziell gestört". Wenn daher von einer funktionierenden Sozialpartnerschaft gesprochen werde, so sei damit ausschließlich das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und -nehmern gemeint, gebe es hier doch noch die Bereitschaft, bestimmte Materien im Einvernehmen zu lösen.
So gesehen erscheint Tálos auch die Einigung zwischen Wirtschaftskammer und Gewerkschaft über die Postenbesetzungen im Hauptverband nicht ungewöhnlich. "Die Wirtschaft hatte hier eine große Bringschuld", wurde doch die Organisation des Hauptverbandes gegen die Gewerkschaft beschlossen.
Weder diese Einigung noch der Umstand, dass rhetorische Bekenntnisse zur Sozialpartnerschaft von Seiten hochrangiger Regierungspolitiker wieder in Mode gekommen sind, ändert für Tálos jedoch den Befund, dass hier "nur mehr die Worthülse" aufrechterhalten bleibe. "Inhaltlich sei die Sozialpartnerschaft längst ausgehöhlt, man will nur den Begriff nicht abschaffen". Immerhin bezeugen Umfragen die nach wie vor ungebrochene Popularität der sozialpartnerschaftlichen Idee. Ein Neutralitätsschicksal sozusagen.
Dabei liegt es dem Sozialwissenschaftler fern, die Sozialpartnerschaft der 60er und 70er Jahre schön zu reden. Vor allem demokratiepolitisch hatte diese ihre Defizite: "Die Sozialpartnerschaft war das intransparenteste Entscheidungssystem, das man sich nur vorstellen kann." Auch habe der Umstand, dass Sozialpolitik fast ausschließlich aus der - männlich dominierten - Perspektive der Erwerbstätigen betrieben wurde, dazu geführt, dass diejenigen ohne Erwerbseinkommen aus dem System heraus fielen.
Zweifel hat Tálos, ob eine Entflechtung von Parteien und Verbänden mittelfristig zu einer Erneuerung der Sozialpartnerschaft führen könnte: Das wäre für die Verbände sehr ambivalent, gelte für diese im Verhältnis zu den Parteien doch die Regel 'je mehr Emanzipation, desto geringer der Einfluss'. n