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Staatsanleihen auf Käufersuche: Letzte Rettungsanker wären EZB und Eurobonds.
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Brüssel. Deutschland wird wohl oder übel eine seiner heiligen Kühe opfern müssen: Entweder die Europäische Zentralbank (EZB) wird zur Retterin in höchster Not oder die Eurozone haftet - zumindest vorübergehend - gemeinsam für neu aufgenommene Kredite.
Anders wird die Krise wohl nicht mehr bewältigbar sein - die Vorschläge des EU-Gipfels vom 26. und 27. Oktober stecken in der Umsetzung fest und reichen nicht mehr aus. Diese Einsicht setzt sich zusehends im Europäischen Parlament durch: "Wir müssen darüber hinausgehen", mahnte Guy Verhofstadt, Vorsitzender der Liberalen Fraktion. Die Eurokrise sei "an einem sehr gefährlichen Punkt angelangt, bei dem alles möglich ist."
Der bisherige Plan: Das Griechenland-Problem sollte mit einer Umschuldung isoliert und die Sorge um Italien mit einem größeren ("gehebelten") EFSF-Rettungsschirm eingedämmt werden. Die Realität hat diese Ideen überholt. Zwar ist Italien noch lange nicht insolvent - mit Zinsen von sieben Prozent wird es seinen 1900-Milliarden-Schuldenberg aber auf Dauer nicht finanzieren können. "Ein Zinssatz von vier Prozent entspricht eher dem, was sich Italien langfristig leisten kann", sagt Keith Wade, Stratege des Vermögensverwalters Schroders.
Käufer dringend gesucht
Inzwischen ist freilich die Eurozone als Ganzes betroffen: Die Schuldenkrise ist "systemisch" geworden, sagte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso vor dem EU-Parlament. Das Vertrauen in Europas Staatsfinanzen hat den Nullpunkt erreicht. Sogar für Triple-A-Länder wie Frankreich, Niederlande und Österreich steigen die Zinslasten. Nur Deutschland kann sich entkoppeln - noch. "Ein Käuferstreik ist das sowieso längst, aber inzwischen gibt es auch großen Verkaufsdruck auf Staatsanleihen", sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria, zur "Wiener Zeitung". Die Investoren machen einen großen Bogen um Europas Staatspapiere.
Damit werden die Vorschläge zur Hebelung des Rettungsschirms EFSF hinfällig: Wenn das Vertrauen in italienische Papiere weg ist, reicht es nicht mehr, wenn der EFSF 20 oder 30 Prozent der Schuldtitel gegen einen Ausfall versichert, um die Käuferzu beruhigen. "Ich fürchte, dass aufgrund der Entwicklung der letzten Tage diese Form der Solidarität nicht mehr ausreichen wird", sagt Bruckbauer.
Die "italienische Lösung"
Auch für das Vorhaben der Europäer, große Schwellenländer wie China oder Brasilien zur Investition in den Eurohilfstopf zu bewegen, schaut es schlecht aus: Deutschland solle erst selbst in italienische Staatsanleihen investieren, dann werde sich China anschließen, sagte der ehemalige chinesische Notenbanker Yu Yongding im "Handelsblatt". Die auf Sicherheit bedachten Asiaten stehen einem gehebelten Eurohilfsfonds skeptisch gegenüber.
Dieser wäre ohne Hebelung mit Italien allerdings überfordert: Im EFSF-Topf sind nur 250 Milliarden Euro verfügbar - Rom benötigt aber allein 2012 rund 275 Milliarden Euro frisches Geld. Und auch ein Vorziehen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der Mitte 2013 in Kraft treten soll, würde wenig ändern. Die Summe der aushaftenden EFSF- und ESM-Kredite ist nämlich mit 500 Milliarden Euro gedeckelt: Eine unsinnige Begrenzung, die fallen sollte, sagte der belgische Ökonom Hans Geeroms jüngst zur "Wiener Zeitung".
Wenn weder härtere Sparpakete noch größere Rettungsschirme noch Regierungswechsel das Vertrauen der Investoren gewinnen, welche Optionen bleiben dann?
An erster Stelle steht die Europäische Zentralbank. "Es würde eine starke Ansage brauchen, dass die EZB nicht zulässt, dass die Liquidität im Staatsanleihenmarkt austrocknet", sagt Bruckbauer. EZB-Chef Mario Draghi müsste also dazu bereit sein, notfalls unlimitiert Anleihen zu kaufen - also praktisch Geld zu drucken. Deutschland ist aus Sorge vor Inflation strikt dagegen. Nur: Wie sinnvoll ist es, dass die EZB die Stabilität des Euro verteidigt, wenn darüber die Währungsunion zerbricht?
Über diese Frage sind Deutschland und Frankreich nun erneut in Streit geraten. "Wir vertrauen darauf, dass die EZB alles Nötige tun wird", sagte eine Regierungssprecherin in Paris. Das wird als Appell an die EZB gewertet, viel mehr Staatsanleihen als bisher - seit Mai 2010 waren es 187 Milliarden Euro - zu kaufen. Der Konter von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel ließ nicht auf sich warten: "Wir sehen die Verträge so, dass die EZB keine Möglichkeit hat, die Probleme zu lösen." EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit sieht diese Frage hingegen pragmatisch: "Wenn Mario Monti (Italiens neuer Premier, Anm.) im Frühjahr 200 Milliarden Euro refinanzieren muss, wird er zu Mario Draghi (EZB-Präsident) gehen und der wird sie ihm geben."
Merkel weist die Weisen ab
Der zweite Vorschlag, dem zugetraut wird, vorerst einen Schlussstrich unter die Probleme zu ziehen, wäre eine (zumindest vorübergehende) gemeinsame Schuldenaufnahme, um die durchschnittlichen Zinsen zu senken. "Es braucht ein stärkeres Signal, dass die Staatsanleihen der Eurozone dasselbe geringe Ausfallsrisiko haben", sagt Bruckbauer. Zumindest der Finanzbedarf für 2012 sollte entweder über Eurobonds oder umfassende Garantien abgesichert werden.
Berlin wehrt sich auch gegen solche Lösungsansätze vehement. Dabei haben die deutschen Wirtschaftsweisen vor wenigen Tagen einen durchdachten Vorschlag gemacht: Für den Abbau der Schulden in den Euroländern soll temporär ein gemeinsamer Fonds eingerichtet werden, für den alle unbeschränkt haften. Im Gegenzug müssten sich die Länder auf einen strikten Konsolidierungspfad verpflichten. So würde ein für Investoren attraktiver und sicherer Anleihentopf von 2,3 Billionen Euro geschaffen. Die Regierungschefin will vom Vorschlag ihrer Berater nichts wissen: Merkel hat dem Plan der fünf Weisen schon vorsorglich eine Absage erteilt.