Zum Hauptinhalt springen

Nur Täter können begnadigt werden

Von Eva Stanzl

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zum amerikanischen Erntedankfest Thanksgiving hat sich im Weißen Haus die National Thanksgiving Turkey Presentation etabliert. Dabei überreichen die Industrieverbände alljährlich dem Präsidenten einen Truthahn, den dieser "begnadigt". Der Akt bewahrt das Tier davor, als Festtagsmahlzeit auf dem Teller zu landen. Donald Trumps Wahl fiel heuer auf den unschuldigen "Corn". Und das ist der Punkt. Tiere sind unschuldig, daher die Wortwahl falsch. Begnadigt werden können nur Schuldige. Mörder, Unterschlager, Diebe, Erpresser, Vergewaltiger oder Terroristen können freigesprochen, aus der Haft entlassen oder von der Todesstrafe begnadigt werden. "Corn" aber wurde verschont von uns Menschen. Denn nicht er, sondern wir sind die Täter.

Müssen wir ein schlechtes Gewissen haben, weil wir Tiere genüsslich verspeisen? Das müssen wir nicht. In der Evolution haben wir uns zu Allesfressern entwickelt. Doch wir sollten uns der Scheinheiligkeit der Wortwahl bewusst sein, mit der wir unseren (vermutlich der Gesundheit dienlichen) Nahrungsplan wie mit einem Kult umkleiden. In der Jagd finden sich zahlreiche Beispiele für derartige Scheinheiligkeiten. So kann ein Jäger einen kapitalen Hirsch "pardonieren". Das bedeutet, er hat ihn im Fadenkreuz seines Gewehrs, schießt aber nicht, sondern lässt ihn leben. Der Jäger hat die Macht über Leben und Tod, kaum eine Situation verdeutlicht dies so klar. Das Tier aber hat nichts getan, deswegen können wir wohl nur uns selbst vergeben.