Eine aktuelle Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau fördert besorgniserregende Zahlen zutage.
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Wien. Für die musikalische Untermalung der Hochzeit seiner Enkelin blätterte diese Woche ein russischer Milliardär umgerechnet fast vier Millionen Euro hin. Damit machte er Schlagzeilen, denn diese Summe teilten sich die Superstars Mariah Carey (die zuletzt zu Silvester den New Yorker Times Square bespielte) und Elton John, die ein paar ihrer Lieder bei dem Festakt für die 19-jährige Braut in einem Londoner Nobelhotel darboten. Und sie waren nur ein Teil des Unterhaltungsprogramms.
Der spendable Großvater Valery Kogan soll sein Vermögen durch die Privatisierung des russischen Flughafens Domodedowo gemacht haben - eine Privatisierung über Langzeit-Leasing-Verträge, die seit 1997 laufen.
Seit dem Mauerfall haben "in den post-kommunistischen Ländern nur 27 Prozent der Menschen einen durchschnittlichen oder überdurchschnittlichen Einkommenszuwachs erzielen können" - und dabei handelte es sich zumeist ohnedies um das wohlhabendere Bevölkerungssegment, heißt es in einer aktuellen Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Die Institution hat für ihren "Transition Report 2016/2017" 51.000 Menschen in 34 Ländern in Ost- und Südosteuropa sowie Russland und der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) befragt. Die EBRD hat es sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 zur Aufgabe gemacht, diese Länder in ihrem Transformationsprozess hin zu Marktwirtschaft und privatem und unternehmerischem Handeln finanziell zu unterstützen.
Doch das Ergebnis des aktuellen Reports ist ernüchternd. Statt der vermeintlichen Prosperität für alle hat sich vielmehr eine bedeutende Schere aufgetan. Im Durchschnitt geht es 23 Prozent der Bevölkerung der untersuchten Regionen sogar in absoluten Zahlen schlechter als noch vor 1989. Das sei "extrem besorgniserregend", meinte Harald Waiglein, Leiter der Sektion Wirtschaftspolitik und Finanzmärkte im Finanzministerium, bei der Einleitung der Präsentation.
Insgesamt hat weniger als die Hälfte der Menschen in post-kommunistischen Ländern (44 Prozent) eine Anpassung ihrer Gehälter an jene Westeuropas feststellen können. Der Fall des Eisernen Vorhangs ist allerdings mehr als ein Vierteljahrhundert her.
Einkommen von 80 Prozentder Russen im Hintertreffen
Gerade in den post-kommunistischen Ländern finden sich besonders viele Globalisierungsverlierer, erklärte Ralph de Haas, Leiter der EBRD-Forschungsabteilung, am Donnerstag in Wien bei der Präsentation des neuen Reports. Natürlich sei die Situation in den Ländern unterschiedlich dramatisch. In Russland stellt sich die Einkommensschere folgendermaßen dar: Nur 20 Prozent der russischen Bevölkerung verzeichneten ein durchschnittliches oder überdurchschnittliches Wachstum bei ihren Einkommen. Das bedeutet, dass das Einkommen von ganzen 80 Prozent der russischen Bevölkerung seit dem Zerfall der Sowjetunion weniger als der Durchschnitt gewachsen ist. In der Ukraine ist das Einkommen gar nicht gewachsen. Dagegen sind in Mazedonien und in Estland die Gruppen der Verlierer relativ klein.
Wenn nun vom Widerstand der Bevölkerung in postkommunistischen Ländern, gegen strukturelle Reformen geredet wird, sei es wichtig, sich diese großen Prozentsätze der Bevölkerung vor Augen zu halten, die bisher keine Verbesserung, sondern sogar eine Verschlechterung verzeichnet haben. "Und dabei würden unsere Zahlen gar nicht die ganze Geschichte erzählen, denn wir haben die Superreichen, die null bis 0,1 Prozent der Bevölkerung ausmachen, nicht mitzählen können: Die verbringen nämlich nicht eineinhalb Stunden ihrer Zeit damit, bei einer Umfrage mitzumachen", erklärt de Haas.
Der Report habe sich Daten des "Forbes"-Magazins geholt: "Die Konzentration von Reichtum ist in den Ländern der EBRD, gemessen an internationalen Standards, hoch. Und sie ist beträchtlicher als in anderen Schwellenländern", urteilt de Haas. "Wir nehmen moralisch keinen Anstoß an Menschen, die sehr reich sind. Allerdings ist es problematisch, wenn die Mehrheit der Menschen in einem Land das Gefühl hat, gegenüber einer kleinen Elite benachteiligt zu sein. Einer Elite, die einen großen Teil der Privatisierungen für sich beansprucht hat", sagt de Haas im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Marktwirtschaft hateinen schalen Beigeschmack
Die Masse der Menschen bekomme damit das Gefühl, dass "Privatisierungen und die Marktwirtschaft generell für sie ein schlechtes Modell zum Leben sind". De Haas kann es an den Daten festmachen: "In manchen Ländern werden Reformen rückgängig gemacht, und die Befürwortung für Demokratien und für das marktwirtschaftliche System ist im Schwinden. In diesen Ländern sieht man diese Milliardäre." Und dabei sei es doch wichtig, die Bevölkerung für die Reform der Institutionen mit an Bord zu haben. Noch dazu, wo es die schwachen Strukturen in diesen Länden waren, die an den ungeordneten Privatisierungen schuld gewesen sind. "Viele Menschen mögen den Gedanken der Privatisierung nicht, weil sie die Art und Weise der Privatisierung nicht gemocht haben."
Der Reichtum der Milliardäre in den post-kommunistischen Ländern kommt zu über 50 Prozent aus dem Rohstoff-Sektor, weniger als zehn Prozent machen Segmente wie Produktion oder Innovation aus. Im Gegensatz dazu übrigens die entwickelten Volkswirtschaften: Deren Milliardäre ziehen weniger als zehn Prozent ihres Reichtums aus Rohstoffen, aber mit mehr als 50 Prozent aus den Sektoren der Produktion und Innovation. Sektoren, die auch bessere Jobs versprechen.
De Haas empfiehlt den Staaten, bei den noch ausstehenden Privatisierungen aus ihren Fehlern zu lernen - und die anstehenden Prozesse transparent und fair zu gestalten. Dabei denkt er an Staaten wie Russland, die Ukraine und Kasachstan.
Wie sehr der Transformationsprozess die Menschen auch physisch gestresst hat, zeigt übrigens ein anderes Datenaufkommen, das der Report präsentierte: Menschen, die in der Zeit um 1989 geboren wurden, sind im Schnitt einen Zentimeter kleiner gewachsen als jene, die davor und danach zur Welt kamen.