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Die dreitägigen Krawalle im März und neue Mordanschläge von Albanern auf die wenigen verbliebenen Serben im Land haben die vergessene südserbische Provinz Kosovo wieder in die Schlagzeilen gebracht. Es waren, wie die Diplomaten zu sagen pflegen, Betriebsunfälle auf einer festen Wegstrecke.
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Eigentlich gilt für die Krisenregion ein fester "Fahrplan": Bevor über den Status der zu 90 Prozent albanisch besiedelten Provinz entschieden wird, sollen die Kosovaren unter der Aufsicht einer UN-Verwaltung zuerst "Standards" in Sachen Demokratie und Menschenrechte erreichen. Im Oktober wird zum zweiten Mal ein Parlament gewählt, es gibt einen Präsidenten, eine Regierung, einen obersten Gerichtshof. Zu den "Standards" gehört auch der Friede im Zusammenleben mit den Serben. Im nächsten Jahr soll der Stand zum ersten Mal "evaluiert" werden. Dann, so der Fahrplan, soll der Weltsicherheitsrat über den endgültigen Status der Provinz entscheiden.
Aber dass es wirklich dazu kommt, ist nicht erst seit den Märzkrawallen ungewiss. Das Konzept der "Standards vor Status", ersonnen vom deutschen UN-Verwalter Michael Steiner, griff von Anfang an zu kurz und hatte zudem mit inneren Widersprüchen zu kämpfen. Je ziviler und demokratischer die Albaner sich verhalten, so die Logik, desto eher erreichen sie die ersehnte Unabhängigkeit. In der Verheißung versteckt sich allerdings auch eine fatale Botschaft an die andere Seite, Serbien-Montenegro, zu dem die Provinz formal noch immer gehört: Nur wenn im Lande alles schief geht, bleibt das Kosovo bei Belgrad.
Entsprechend gering ist die Bereitschaft der serbischen Minderheit zur Kooperation mit der UNO und den Albanern. Zudem ist nicht gesagt, dass der Sicherheitsrat albanisches Wohlverhalten wirklich mit der Unabhängigkeit belohnt. Der historischen Logik nach ist es genau umgekehrt: Ein Provisorium, das keine Probleme macht, wird zur Dauerlösung; entschieden wird nur, wenn Druck herrscht. Und schließlich bewegt sich das Konzept ausschließlich auf der ethnisch-politischen Ebene; die tiefer liegenden sozialen Probleme der Region bleiben außer Betracht.
Wer das Kosovo fünf Jahre nach dem Einmarsch der Nato in den schönsten Farben malen will, lässt Besucher einmal mit dem Hubschrauber übers Land fliegen. Überall glänzen hellrot die neu eingedeckten Dächer. Tatsächlich hat das Kosovo mit der massenhaften Rückkehr der albanischen Flüchtlinge nach dem Krieg im Jahr 1999 einen wunderbaren Boom erlebt: In Rekordzeit wurden die Häuser aufgebaut - der Zukunftswille der Kosovaren war nicht zu übersehen. Die Hilfswelle nach Kriegsende brachte dem Kosovo eine einzigartige Hausse. Über 50.000 Firmen wurden registriert.
Weniger Hilfsgelder und Geld von Auslandskosovaren
Aber das Glück ist schon längst wieder vorbei, und die Aussichten sind noch weit düsterer. Nach 2,4 Milliarden Euro an Hilfsgeldern in den letzten drei Jahren werden für die nächsten drei nur noch 500 Millionen Euro erwartet - ein Abfall um 70 Prozent.
Auch die zweitwichtigste Einnahmequelle, die Überweisungen emigrierter Verwandter, droht zu versiegen, seit Kosovaren aus Frankfurt oder Zürich konsequent zurückgeschickt werden. Der Wiederaufbau hat der Wirtschaft nur ein Strohfeuer gebracht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 49 Prozent. Von den 50.000 "Firmen" haben 90 Prozent drei oder weniger Beschäftigte. Produktion findet so gut wie nicht statt; erst ganz langsam beginnen sich erste Molkereien zu etablieren. Von den über 500 "gesellschaftlichen Unternehmen", die im Armenhaus Jugoslawiens einst den bescheidenen Reichtum schufen, ist über die Hälfte inaktiv.
Extremisten und Verbrecher setzen auf Instabilität
Aus dem sozialen Hexenkessel droht allmählich wieder ein politischer zu werden. Eine relativ kleine Schicht von Extremisten, meist Veteranen der "Befreiungsarmee" UCK und oft mit dem organisierten Verbrechen verbandelt, hat als strategisches Ziel die Instabilität. Je mehr Krawalle, je mehr Anschläge auf Serben, aber auch auf UNO-Einrichtungen und auf die internationale Friedenstruppe KFOR (Kosovo Force), desto eher zieht die Weltgemeinschaft sich zurück: so ihre Logik. Das Kosovo würde der Szene aus Extremisten und Verbrechern wie eine Frucht in den Schoß fallen. Auch der Weg zum Ziel ist einfach: In jeder Kleinstadt, ja in jedem Dorf, stehen jederzeit genug junge, arbeits- und orientierungslose sowie gewalterfahrene Männer buchstäblich auf der Straße, die sich für Provokationen aller Art missbrauchen lassen.
In Prishtina wird unter internationalen Verwaltern eine Lösung diskutiert - schüchtern allerdings, denn nicht die Praktiker vor Ort haben darüber zu entscheiden: die "Europäisierung". Danach soll das Kosovo rasch eine Art "unmittelbares" Territorium der EU werden - ein Teil der Union, aber kein Mitglied. Brüssel übte die Souveränität aus, wäre für Außenbeziehungen und Verteidigung zuständig. Nach innen wären die EU-Richtlinien für das Kosovo, wie für alle Mitgliedsstaaten, Gesetz. Wäre die Reform der Union schon etwas weiter, so könnten auch Polizeien und Staatsanwaltschaften anderer EU-Länder im Kosovo tätig werden. Die schwachen Behörden der Provinz bräuchten aus dem übrigen Europa Hilfe und Assistenz, aber keine zusätzliche Oberaufsicht. Natürlich müssten die Bürger des Kosovo sich frei in ganz Europa niederlassen können - ganz wie es die meisten jungen Männer, allerdings illegal, heute schon tun. Der aussichtslose Versuch, das Gebiet wirtschaftlich auf eigene Beine zu stellen, könnte einfach abgebrochen werden, wie es in Europa schließlich viele Gebiete gibt, die für sich selbst nicht existieren könnten. Schon der Stadtstaat Bremen bekommt pro Kopf viermal soviel Hilfe wie das Kosovo.
"Zuckerl" für Serben, damit sie auf Kosovo verzichten
Die Hindernisse wären überwindbar. Vor allem Serbien müsste der endgültige Verzicht auf das Kosovo versüßt werden — mit einer engeren Anbindung der EU, der Freizügigkeit für seine Bürger und der Aussicht auf Vollmitgliedschaft. An der Bereitschaft Europas, den Südosten wieder zu integrieren, fehlt es seit dem EU-Gipfel von Saloniki im vorigen Jahr nicht mehr. Das Kosovo wäre eine gute Gelegenheit, den Worten Taten folgen zu lassen. n