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Nur, wenn's nicht anders geht

Von Rosemarie Kappler

Wissen
Experten Michael Dienst und Michael Kohn. Foto: R. Kappler

Deutsche Experten setzen zunehmend auf Arthroskopie. | Kunstgelenk erst, wenn die Arthrose fortgeschritten ist. | Homburg. Zwischen der Hüftgelenk-Pfanne und ihrem kugelförmigen Gegenstück ist schon von Natur aus nicht viel Platz. Zwängt sich dort ein abgerissenes Sehnenstück dazwischen oder im Rahmen einer Entzündung abgelöste Knochenhaut, blockiert in Folge eines Unfalls ein abgesplittertes Knochenstückchen die sonst reibungslose Gelenkbewegung oder hat sich die knöcherne Oberfläche verformt, ist Schluss mit der gewohnten Beinfreiheit und quälende Schmerzen werden dauernde Begleiter.


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Bis jetzt werden solche Gelenkschäden noch immer in offenen Operationen beseitigt, verbunden mit vierteljährigen Heilungs- und Auszeiten für die Betroffenen. Doch in den letzten Jahren erobert sich die weitaus schonendere Hüftgelenk-Arthroskopie ihren Platz. Wesentliche Impulse hierzu kamen von der orthopädischen Universitätsklinik in Homburg. Dort trafen sich jüngst 270 Experten aus aller Welt, um voneinander zu lernen.

"Am liebsten würden wir Chirurgen ja ganz unbemerkt zum Operationsziel hin schweben und, ohne viele Spuren und Wunden zu hinterlassen, wieder verschwinden", sagt Prof. Dieter Kohn, Direktor der Homburger Klinik. Doch die Realität von Hüftgelenk-Operationen sieht vielfach so aus: Mit einem 20 Zentimeter langen Schnitt wird das Bein geöffnet, Muskeln abgelöst, Bänder und bisweilen auch der Oberschenkelknochen werden durchtrennt. Erst dann ist das Zielgebiet erreicht.

Während Eingriffe an Knie- und Schultergelenken schon geraume Zeit schonend mit Sondeninstrumenten durch winzige Hautschnitte von außen erfolgen, trauen sich immer noch nicht genügend orthopädische Chirurgen an Vergleichbares am Hüftgelenk.

Hohe Durchführbarkeit

Zu lange hatte offenbar der Glaubenssatz Gültigkeit, dass es unmöglich sei, zwischen Hüftkopf und Hüftpfanne eine Nadel einzuführen. Zudem sind mit dem Ischias und anderen Nerven gefährliche Strukturen zu umgehen. Seit einem Vierteljahrhundert wackelt dieser Glaubenssatz aber. Zwar stellt ein arthroskopischer Eingriff hohe Ansprüche an die Geschicklichkeit des Operateurs und die technische Ausstattung, doch der Aufwand lohnt.

Privatdozent Michael Dienst, Organisator des Homburger Kongresses und neben Richard Villar (London) führender Experte in Europa: "Fast Dreiviertel der Eingriffe am Hüftgelenk können wir heute schonend durchführen. Das erspart lange Liege- und Rehabilitationszeiten und ermöglicht Betroffenen die schnellere Rückkehr an den Arbeitsplatz." Ein Fünftel der Operationen an der eigenen Klinik würden inzwischen schonend durchgeführt, sagt Kohn und nennt als durchschnittliche Liegezeit zwei bis drei Tage.

Bewährt habe sich die Therapie bei unterschiedlichen Formen der Abnutzung oder Verletzungen des Hüftgelenkes. So werden an immer mehr Kliniken Knorpelverletzungen, Risse in der Gelenklippe, freie Schleimhautkörper, Bänderrisse und frühe Abnutzungserscheinungen mittels speziell entwickelter Nadeln, Zangen und Fräsen behoben. Dienst, der in Deutschland auf die meisten Eingriffe verweisen kann, ist sogar der Meinung, dass Orthopäden häufig zu früh zu einem künstlichen Gelenkersatz raten.

Erst bei fortgeschrittener Arthrose ist nach seinem Dafürhalten ein solcher angeraten. Alle anderen Schäden ließen sich heute überwiegend schonend operieren. Ermöglicht wurde dies dank der Kooperation mit führenden Medizintechnik-Unternehmen, denn die Instrumente für die Hüftgelenk-Arthroskopie müssen lang, beweglich und gut handhabbar sein.

Neue Erkenntnisse

Dank der eingesetzten Lichtfaseroptiken haben die Orthopäden in den letzten Jahren auch viele neue Informationen zur Funktionsweise des Hüftgelenkes sammeln können. "Im Gegensatz zu den anderen Gelenken hinken wir allerdings mit unserem Wissen und Verständnis immer noch fünf bis zehn Jahre hinterher", sagt Dienst. Diesen Rückstand aufzuholen, dienen die regelmäßigen Kongresse in Homburg. Daneben hat sich erst im Mai eine eigene Fachgesellschaft zur Hüftgelenk-Arthroskopie in Deutschland gegründet. Diese Bemühungen scheinen zu lohnen. Kohn: "Es gibt nicht viele Bereiche der Medizin, in denen deutsche Ärzte führend sind. Aber hinsichtlich der Hüftgelenk-Arthroskopie sind wir, ohne anzugeben, inzwischen Weltspitze."