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Nutznießer des Niedergangs

Von Walter Hämmerle

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Der Machtverlust des Parteienstaats weist dem Amt des Bundespräsidenten eine neue Rolle zu. Darin liegt eine Chance.


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Einst waren es vor allem die beiden großen Parteien, die - zunächst
jede für sich und später dann doch auch gemeinsam - dieses Land repräsentierten. Dass das eigentlich auch Sache der republikanischen Institutionen, also von Parlament und Regierung sein könnte - geschenkt. Das spezifisch österreichische politische Denken hat mit abstrakten Institutionen nichts am Hut. Politik war in diesem Land immer eine zutiefst handfeste Sache: Am Anfang stand das "die oder wir".

Allerdings ist mittlerweile die gesamtgesellschaftliche Integrationskraft der ehemaligen Großparteien erschöpft. Theoretisch könnten die Parteien als Gemeinschaft in die Bresche springen und dieses politische Vakuum füllen. Praktisch ist das nur ein Gedankenspiel ohne reale Entsprechung. Österreichs Parteien haben es bislang nicht geschafft, über leere Symbolik hinaus ein substanzielles republikanisches Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln und - fast noch wichtiger - den Bürgern vorzuleben. Tatsächlich ist deren Hauptjob im Alltag, dem politischen Wettbewerb Form und Inhalt zu geben, nicht tagtäglich das vermeintlich Gemeinsame vor das tatsächlich Trennende zu stellen.

Wer, wenn nicht mehr die Parteien, stiftet dann ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Verbundenheit? Das Parlament ist mit dieser Aufgabe strukturell überfordert, seine Abgeordneten definieren sich vorrangig über ihre Zugehörigkeit entweder zu Regierungsmehrheit oder eben zu Opposition. Für ein gemeinsames politisches Bewusstsein der 183 Mandatare ist daneben kein Platz vorgesehen.

Dieses verkümmerte politische Bewusstsein spiegelt sich auch im Symbolismus der Republik wider: Kleinster gemeinsamer Nenner bei der Suche nach einem Datum für den Nationalfeiertag war der wenig spektakuläre 26. Oktober; da hat 1955 der Nationalrat das Neutralitätsgesetz beschlossen. Da wäre die Unterzeichnung des Staatsvertrags im selben Jahr am 15. Mai schon ein anderes Kaliber gewesen, ganz zu schweigen vom 12. November 1918, als die Republik ausgerufen wurde, oder der 27. April 1945, als ÖVP, SPÖ und KPÖ mitten im zerstörten Wien die Wiederauferstehung Österreichs proklamierten.

In dieser Republik der Uneinigen übt das Amt des Bundespräsidenten einen ganz eigenen Reiz aus. Weniger in seiner realen Entsprechung als vielmehr in der dem Amt grundgelegten Idee: Als einziges von den Bürgern direktgewähltes Oberstes Staatsorgan ist der Bundespräsident natürliches Gegengewicht zum Wettbewerb der Parteien um die Regierungsmacht, deren Verhältnis zueinander von den in der Verfassung festgeschriebenen Spielregelen bestimmt wird.

Genau aus diesem Grund ist es so viel mehr als nur eine symbolische Geste, dass ein amtierender Bundespräsident seine formalen Bindungen an eine politischen Partei kappt, sofern er einer solchen entstammt. Je zerrütteter das Vertrauen der Bürger in den Parteienstaat ist, je volatiler die möglichen Mehrheitsbildungen, desto wichtiger ist, dass der Bundespräsident nicht als verlängerter Arm einer Partei agiert. Hoffentlich verstehen das alle Parteien und Kandidaten.