Replik auf den Leitartikel von Reinhard Göweil vom 23.3.2013
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Es ist zwar richtig, dass die EU Grund genug für eine Entschuldigung hätte, weil die EU im Zypernkonflikt bisher der Türkei allein den Schwarzen Peter zugeschoben hat - welche Schritte auch immer die Türkei gesetzt hat - und einseitig die egoistischen Interessen der Zyperngriechen und Griechenlands vertreten hat. Außer unerfüllten Versprechungen haben die Zyperntürken bisher nichts von der EU erhalten. Aber daraus ein Muss zur Wiedervereinigung Zyperns abzuleiten, ist abwegig.
Die Türkei hat zwar 1974 die - grundsätzlich legitime - Militärintervention auf Zypern stark überzogen, um die seitens der griechischen Militärregierung geplante Vereinigung (Énosis) mit Griechenland zu verhindern, was einerseits zur Teilung Zyperns und andererseits zum Sturz der Militärdiktatur in Griechenland führte.
Seitens der EU-Länder wurde aber immer völlig darüber hinweggesehen, dass vor der Teilung Zyperns die Diskriminierung der türkisch-stämmigen Bevölkerung durch die dominante griechisch-stämmige Regierungsmehrheit Ursache für die ständig zunehmenden ethnischen Spannungen gewesen war und sogar in Pogrome seitens der zypriotischen Polizei gegen die türkisch-stämmige Zivilbevölkerung ausgeartet war.
An der Einschränkung der Rechte der türkischen Ethnie war maßgeblich der Klerus beteiligt, der mit Erzbischof Makários III. sogar den Präsidenten stellte. Makários hatte noch vor Zyperns Unabhängigkeit von Großbritannien vehement die Énosis - ggf. mit Waffengewalt - angestrebt. Erst spät lenkte er gezwungenermaßen ein. Danach war er als Präsident Zyperns maßgeblich verantwortlich für die Diskriminierung der Zyperntürken, welche zum Auslöser für die Teilung der Insel wurde. Einzig die eindeutige Distanzierung von der griechischen Militärdiktatur ist ihm positiv anzurechnen.
Wie man sieht, ist der zypriotische griechisch-orthodoxe Klerus nach wie vor eine bestimmende Kraft in Zypern. Und die zypriotischen Politiker haben sich auch nicht gerade durch vernünftiges und weitsichtiges Handeln hervorgetan - sondern durch das genaue Gegenteil dessen.
Übereilte Wiedervereinigung bringt nur neuen Konfliktstoff
Warum sollte also gerade jetzt die Wiedervereinigung das Land auf den richtigen Pfad bringen? Auch eine biföderale Staatenlösung, wie sie seinerzeit in den Verhandlungen angestrebt worden ist, bedarf einer gemeinsamen Regierung. Ethnische Spannungen sind dabei vorprogrammiert. Am binationalen, biföderalen Beispiel Belgiens ist abzusehen, wohin die Tendenz geht. Also wozu wiedervereinigen, was recht bald wieder konfliktreich auseinanderstreben würde?
Für eine rasche Wiedervereinigung Zyperns zu plädieren, führt auf denselben falschen Weg des permanenten Versagens zurück, für den die EU kritisiert wird. Genau diese unreflektierte, kurzsichtige Blauäugigkeit, diese Mischung aus Naivität und Hybris, ist es, welche die Europäische Union von einem Desaster ins andere stolpern lässt. Was hergehört, ist eine effiziente Bremse in der EU: Stopp der verfrühten Aufnahmen in die EU und die Euro-Zone, Stopp der Förderung von unproduktiven und unnötigen Infrastrukturmaßnahmen. Die EU gibt ihren Mitgliedern bzw. Kandidaten nicht zuwenig Geld, sondern zuwenig Zeit zur Vorbereitung und Adaption.
Wie hat Reinhard Göweil doch so richtig festgestellt: Der Preis politischer Kuhhandel offenbart sich erst später und dieser Preis ist üblicherweise viel zu hoch.
Die EU soll also Geld zur Lösung von Zyperns Finanzproblem genehmigen und zugleich die Zyperngriechen zur Vereinigung mit dem türkisch-zypriotischen Teil zwingen?
Das steht im Widerspruch zur obigen Erkenntnis. Also, bitte: Nicht künstlich einen weiteren Konfliktstoff in der EU erzeugen. Und der beschworene wirtschaftspolitische neue Schwung würde wohl nur zur kreativen Fortführung des suizidalen zypriotischen Wirtschaftsmodells genützt werden. Lösung des Finanzproblems durch einen Bauboom im Norden Zyperns mit anschließender Immobilienblase? Nein, danke. Was die Republik Zypern braucht - so wie manch andere EU-Länder und -Kandidaten -, ist gehörig Zeit für die politische Reifung.
Ist auf die Moiren und Némesis Verlass? *)
Die Zyperntürken werden mittlerweile auch relativieren und erkennen, dass das ihnen von den Moiren zugeteilte, bisher als durchwegs ungerecht empfundene Schicksal sie vor anderem Unheil bewahrt hat und sie vom Finanzfiasko verschont geblieben sind. Ihnen ging es ja nicht um die Wiedervereinigung an sich, sondern um den Eintritt ins vermeintliche Paradies Europäische Union. Dass es dort nicht so paradiesisch zugeht, sollte ihnen spätestens jetzt klar geworden sein.
Dort gilt es derweil, das zyprische Finanzmenetekel ehebaldigst zu entschärfen.
Zu Ostern begrüßen die Griechen einander mit: Anésti oder Christós anésti. - Alithós anésti. (Er ist auferstanden. - Er ist wahrhaftig auferstanden.)
Es wird sich zeigen, ob diesem 'anésti' heuer zu Ostern eine erweiterte Bedeutung zukommen wird: Anésti für Kýpros anésti. - Alithós anésti?
PS: Hier der Leitartikhttp://www.wienerzeitung.at/meinungen/leitartikel/533636_Europas-Kuhhandel.htmlel, auf den mein Kommentar Bezug nimmt.
*) In der griechischen Götterwelt sind die Moiren bekanntlich die Schicksalsgöttinnen und Némesis die Göttin zuständig für die ausgleichende Verteilung von Glück und Recht und für die Bestrafung von Hybris.