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"Ob tot oder lebendig"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Der Fall der ukrainischen Kampfpilotin Nadja Sawtschenko: ein absurder Prozess geht zu Ende.


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Donezk. Als kämpferische Angeklagte hatte die Welt die Ukrainerin Nadja Sawtschenko zuletzt erlebt. Als wütende Frau, die dem Richter vor laufenden Fernsehkameras den Mittelfinger entgegenstreckte. Am ersten Tag der Urteilsverkündung wirkt die 34-Jährige indes wie entrückt: Sawtschenko, körperlich durch einen abgebrochenen Hungerstreik geschwächt, lässt den Blick aus dem Glaskäfig schweifen, lächelt ihrer Schwester im Gerichtssaal zu. Immer wieder zuckt Sawtschenko mit den Achseln, wie zum Zeichen der Langeweile.

Es ist ein absurder Prozess, der dieser Tage auch absurd zu Ende geht. Im südrussischen Donezk - nicht zu verwechseln mit Donezk im ukrainischen Donbass - begann gestern, Montag, die Urteilsverkündung im Fall Sawtschenko. Der ukrainischen Kampfpilotin wird Beihilfe zum Mord zweier Journalisten sowie illegaler Grenzübertritt nach Russland vorgeworfen. Sawtschenko habe "aus Hass absichtlich den Tod zweier Menschen verursacht", eröffnete der Richter seine Ausführungen. Diese Worte waren zuerst von einer russischen Nachrichtenagentur und später von vielen internationalen Medien voreilig als Urteilsspruch interpretiert worden. In einem fast sieben Stunden andauernden, monotonen Redemarathon verlas der Richter die Ausführungen der Staatsanwaltschaft, der Prozess wurde nur durch kurze Pausen unterbrochen. Das Urteil sowie das Strafausmaß werden für heute, Dienstag, erwartet. Zuletzt hatte die Staatsanwaltschaft eine 23-jährige Haftstrafe gefordert.

Dabei ist vieles an diesem Verfahren fragwürdig: Allein die Tatsache, dass einer ukrainischen Staatsbürgerin vor einem russischen Gericht der Prozess gemacht wird, hat viel Kritik hervorgerufen. Sawtschenko, eine ausgebildete Militärpilotin, kämpfte im Juni 2014 im ukrainischen Freiwilligenbataillon "Aidar" an der Front in der Ostukraine gegen die pro-russischen Separatisten. Weiters ist Sawtschenko wegen illegalem Grenzübertritt von der Ukraine nach Russland angeklagt.

"Heldin der Ukraine"

Die ukrainische Lesart ist freilich eine ganz andere: So hat die Verteidigung dem Gericht Mobilfunkdaten übergeben, die beweisen sollen, dass Sawtschenko bereits zwei Stunden vor dem Tod der Journalisten von pro-russischen Separatisten gefangen genommen worden sein soll. Große Zweifel gibt es auch am Vorwurf, Sawtschenko hätte illegal die Grenze zu Russland überschritten. Dass sie erst Tage später in einer russischen Stadt - fast 500 Kilometer vom angeblichen Tatort entfernt - wieder aufgetaucht ist, hat berechtigte Spekulationen darüber genährt, dass Sawtschenko eigentlich vom russischen Geheimdienst verschleppt wurde.

Der Fall Sawtschenko ist nicht die erste Verurteilung einer ukrainischen Staatsbürgerin durch ein russisches Gericht. Im vergangenen Sommer war der ukrainische Film-Regisseur Oleg Senzow zu 20 Jahren Haft verurteilt worden, sein Mitangeklagter Alexander Koltschenko zu zehn Jahren Haft. Die Terrorismus-Vorwürfe gegen die pro-ukrainischen Aktivisten, die zuletzt auf der Krim lebten, gelten als fabriziert. Im Sinne eines Schauprozesses sollte ein Exempel an pro-ukrainischen Aktivisten statuiert werden.

Doch ist keine Figur so symbolisch für das Zerwürfnis zwischen der Ukraine und Russland wie Sawtschenko: In ihrer Heimat wird die gebürtige Kiewerin als Nationalheldin und Ikone des Widerstands gegen die russische Aggression verklärt. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko adelte sie zur "Heldin der Ukraine". Sawtschenko, die als erste Frau in der Ukraine zur Pilotin der Luftstreitkräfte ausgebildet wurde, ist zudem Abgeordnete des ukrainischen Parlaments. Sie wurde in Abwesenheit bei den Parlamentswahlen im Oktober 2014 auf dem ersten Listenplatz der Partei "Vaterland" der ehemaligen Ministerpräsidenten Julia Timoschenko gewählt, ihr Bild hängt seither auch auf dem Rednerpult des ukrainischen Parlaments. Titel: "Freiheit für Nadja Sawtschenko!"

Russische Medien malten hingegen das Bild einer blutrünstigen Tötungsmaschine, das Gesicht der "faschistischen Junta", die laut russischen Medienberichten mit dem Umsturz am Maidan das Ruder in der Ukraine übernommen hätte. Kleine Solidaritätskundgebungen mit Sawtschenko in Moskau und St. Petersburg wurden von den Behörden sofort aufgelöst. So wurde der Sawtschenko-Prozess auch zu einem symbolisch aufgeladenen Kampf der Medienbilder: Während Sawtschenko zur Urteilsverkündung in einem T-Shirt mit dem Dreizack, dem Wappen der Ukraine, erschien, hatten sich im Saal auch Aktivisten mit Bildern der getöteten Journalisten auf der Brust eingefunden.

Anfrage über Rücküberstellung

Die Freilassung Sawtschenkos war wiederholt gefordert worden, so auch von der EU und US-Präsident Barack Obama. Das deutsche Auswärtige Amt sprach von einem Verfahren, das allen rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche. Als "Farce" und "Verhöhnung" bezeichnete auch die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite den Prozess. "Ich möchte, dass die ganze zivilisierte, demokratische Welt versteht, dass Russland ein rückständiges Land mit einem totalitären Regime ist, das von einem Diktator beherrscht wird", so Sawtschenko zuletzt in einem offenen Brief. "Ein Land, das auf Menschenrechte und internationales Recht pfeift."

Ein hartes Strafausmaß gilt als sicher. "Sie wird zweifellos für schuldig befunden", sagte Sawtschenkos Anwalt Mark Feygin bereits vor der Anhörung in einem Interview. Zudem hatte seine Mandantin klargemacht, das Urteil nicht anzuerkennen, aber auch nicht anzufechten. Dennoch darf Sawtschenko hoffen, bald wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, werde das ukrainische Justizministerium im Rahmen der europäischen Auslieferungskonvention eine Anfrage über ihre Rücküberstellung in die Ukraine einreichen, so Feygin weiter.

Sawtschenko selbst warf sich bei dieser Frage in gewohnte Kampfespose: "Russland wird mich so oder so an die Ukraine übergeben, ob tot oder lebendig", sagte sie in ihrer Schlussrede.