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Obama and friends

Von Alexander U. Mathé

Politik

Je mehr Freunde und Anhänger Obama hat, umso mehr machen für ihn Werbung und umso stärker ist seine Durchdringungsrate."


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Washington/Wien. Das Jahr 1960 hat die Wahlkämpfe in den USA grundlegend verändert. Der junge demokratische Präsidentschaftskandidat John F. Kennedy und sein Wahlkampfteam erkannten damals eine einschneidende Entwicklung: den Aufstieg des Fernsehens. 1945 gab es gerade einmal 10.000 TV-Geräte in den USA, 1950 waren es schon 6 Millionen und 1960 weit mehr als 50 Millionen. Die Entstehung eines neuen dominanten Mediums kündigte sich an. Also konzentrierte sich Kennedy ganz darauf, im Fernsehen gut zu wirken und den republikanischen Kontrahenten Richard Nixon alt aussehen zu lassen. Der Sieg gab ihm recht.

2012 stehen die USA erneut vor einem einschneidenden Moment in der Wahlkampfgeschichte. Fünf Jahrzehnte lang war das Fernsehen das bestimmende Medium im US-Wahlkampf. Doch es dämmert die große Ära des Internets und der Sozialen Medien.

Schon im Jahr 2008 setzte Barack Obama durch das World Wide Web neue Maßstäbe im Spendensammeln. Während sein Kontrahent John McCain von Bankett zu Bankett hechelte, um den Reichen Geld für seinen Wahlkampf zu entlocken, nutzte Obama zusätzlich die Macht des Internets. Wäre es nur nach der klassischen Art des Spendensammelns, so hätte McCain den Demokraten überflügelt: 383 Millionen Dollar hatte er fast ausschließlich auf diese Weise gesammelt; Obama schaffte es so auf gerade einmal 250 Millionen Dollar. Doch mithilfe des Internets zog der Mann, der später Präsident werden sollte, davon: Die für sich genommen kleinen Spenden, die er online lukrierte, summierten sich auf 500 Millionen Dollar.

Das war zu einer Zeit, da das iPhone - der Vorreiter moderner Smartphones - eine Novität war, die es in Österreich noch nicht einmal gab. Facebook hatte damals 50 Millionen Nutzer zu verzeichnen, Twitter war eher etwas für einen kleinen eingeweihten Kreis. Heute hat Twitter mehr als 500 Millionen Nutzer und Facebook mehr als 900 Millionen. "Freunde", die ein Kandidat dort hat, werden zur schlagkräftigen Waffe im Wahlkampf. Und die beansprucht Obama für sich.

Die grundlegende Idee ist es, Obama (bestmöglich) zu verkaufen. Dafür greift sein Wahlkampfteam auf Programme zurück, die in Grundzügen jenen ähneln, die Konzerne und NGOs für ihr Marketing einsetzen. Benötigt wird dazu eine möglichst breite und präzise Wähler-Datenbank, auf deren Basis dann potenzielle Kunden gezielt umworben werden. Für beides ist Facebook ein ideales Medium.

Vertrauen in Freunde ist höher als in Politiker

Schon jetzt vertrauen viele Amerikaner bei Kaufentscheidungen lieber ihren Freunden als beispielsweise Google. Will John Doe eine neue Kamera kaufen, so sieht er sich meist gar nicht mehr auf einer Suchmaschine nach dem für ihn besten Produkt um. Stattdessen schaut er nach, was seine Freunde auf Facebook gekauft haben. Kann er doch davon ausgehen, dass sie einen ähnlichen Geschmack, ähnliche Bedürfnisse und ähnliche Möglichkeiten wie er selbst haben. Die Freunde garantieren das richtige Kaufverhalten. Ebenso will Obama von Freund zu Freund weiterempfohlen werden. Immerhin ist es effektiver, von einem Freund gebeten zu werden, Obama zu unterstützen, als von einem unbekannten Mitglied des Wahlkampfteams.

"Freunde haben eine höhere Glaubwürdigkeit als der Politiker", erklärt Stefan Bachleitner, US-Experte und Managing Partner der PR-Agentur "The Skills", der die Kampagne zur Wiederwahl von Bundespräsident Heinz Fischer geleitet hat und während des US-Wahlkampfes den Blog usa2012.at betreibt. "Der Aufstieg der Social Media im Wahlkampf hat viel mit dem Vertrauensverlust in das politische System beziehungsweise in Politik und Medien zu tun."

Facebook gewährt Einblick ins Privatleben

Je mehr Freunde und Anhänger Obama hat, umso mehr machen für ihn Werbung und umso stärker ist seine Durchdringungsrate. Von besonderem Interesse für die Wahlkämpfer sind die Gruppenführer und Meinungsmacher in den Netzwerken, nach denen sie speziell Ausschau halten. Sie sind jene, die für das "richtige Kaufverhalten" stehen. Um möglichst viele Freunde auf Facebook zu rekrutieren, lädt die Kampagne ihre Anhänger ein, sie via Facebook zu verfolgen. Facebook-Nutzer, die dieser Einladung Folge leisten, lassen den Datenreichtum über das Wahlkampfteam einbrechen. Sie geben ihm nicht nur Einblick in ihre Freundesliste, sondern auch in ihre Interessen. Alles, was im Profil angegeben wurde, erfährt Obamas Team: den Beruf, den Wohnort, das Alter, bis hin zu cineastischen Vorlieben, Religion und sexueller Orientierung. Diese Daten werden zentral gespeichert und sind jedem Wahlkämpfer zugänglich, von Kampagnen-Chef Jim Messina bis zum Klinkenputzer in Iowa.

Die Kenntnis der Interessen macht es möglich, den Wahlkampf gezielt auszurichten. Große Firmen wie etwa Amazon gehen schon länger nach dieser Strategie vor: Kaufverhalten sowie angesehene Waren werden automatisch analysiert und dem Kunden Angebote unterbreitet, die ihn interessieren dürften.

Personalisierter Wahlkampf zum Greifen nah

Für Wahlkampfstrategen bedeutet dies, dass sie unnötige und vielleicht auch schädliche Information ausschalten können. Ein Arbeiter ohne Job würde sich wahrscheinlich darüber freuen, wenn Obama erklärt, die Industrie in Detroit wieder aufbauen zu wollen. Teilt man das jedoch einem umweltaffinen Wähler mit, wird ihn das vielleicht gar nicht interessieren oder sogar negativ beeinflussen. Die Analyse der Daten erlaubt es abzuschätzen, welche Themen es sich anzusprechen lohnt, ob etwa der Einsatz für die Homo-Ehe mehr potenzielle Obama-Wähler begeistern als verschrecken würde.

Gleichzeitig erlaubt es die Kenntnis von Interessen, Wohnort, Arbeit und sonstigen Daten, einen hochsegmentierten Wahlkampf zu führen, wie es ihn in diesem Ausmaß auf der Welt noch nie gegeben hat. Personalisierter Wahlkampf - das war bisher so etwas wie der Heilige Gral für Wahlkämpfer. Nun ist er zum Greifen nah. "Die große zentrale Botschaft ist nur noch eine sehr vage Klammer. Stattdessen wird das Ganze auf zunehmend kleinere Zielgruppen runtergebrochen", sagt Bachleitner. "Es gibt dann nicht mehr den ‚latino vote‘, sondern den ‚suburban younger latino vote in Ohio‘". Wählergruppen können auf den Häuserblock genau eingegrenzt werden.

Datenanalyse erlaubt, Ressourcen gut einzuteilen

Zusätzlich werden die Personen in der Datenbank nach dem Schulnotensystem von "wählt mich ganz sicher" bis "wählt mich ganz sicher nicht" beurteilt. Dies zeichnet eine ziemlich präzise Karte davon, wo in den USA bereits ausreichend Unterstützung vorhanden ist und wo noch etwas getan werden muss. Das wiederum erlaubt, die vorhandenen Ressourcen gut einzuteilen. Wichtig ist es auch für die Schlussphase, um die wahrscheinlichen Wähler noch einmal zu animieren, auch tatsächlich zur Wahl zu gehen. Schließlich ist die Wahlbeteiligung der Anhänger für jeden Politiker entscheidend.

Die Datenbank ist das Herz des Wahlkampfs mittels Social Media und ihre Pflege sehr aufwendig. Den Grundstock dafür hat Obama bereits im Wahlkampf 2008 gelegt. Gerade in den USA, einem Land ohne Melderegister und mit sehr hoher Mobilität, ist es ein mühsamer, immerwährender Prozess, für Aktualität zu sorgen. Um die virtuelle mit der realen Welt zu verbinden, gibt es diverse Tricks, darunter Werbegeschenke: "Wenn Obama Gratis-Sticker im Internet anbietet, dann vor allem, um an die Adressen der Besteller zu gelangen", erklärt Bachleitner.

Romney ist hinten nach, könnte aber aufholen

Seinem republikanischen Konkurrenten Mitt Romney ist Obama im Internet-Wahlkampf um Längen voraus. Der US-Präsident hat auf Facebook 27,5 Millionen "Gefällt mir"-Freunde; der Mann, der es werden will, hingegen nur magere 2,8 Millionen. Auf Twitter folgen Obama derzeit 17,9 Millionen User, Romney bloß 828.000. Das heiße aber nicht, dass der Republikaner bereits abzuschreiben sei, glaubt Bachleitner. "In Relation wird sich - wenn es nur nach Userzahlen geht - der Abstand zwischen Romney und Obama anteilmäßig verringern, weil Romney einfach mehr Aufholpotenzial hat. Das könnte auch heißen, er macht den geschickteren Wahlkampf, weil er schneller aufholt." Gerade bei den Social Media ist ein schneller exponenzieller Anstieg durchaus möglich.

In der Tat verschicken die Republikaner auch schon seit längerem personalisierte Werbemails. Das E-Mail ist nach wie vor das wichtigste soziale Medium, und die Datenbank muss ja nicht zwangsweise von der Wahlkampagne selbst betreut werden. Die Firma "Campaign Grid" etwa, die gerne republikanische Kandidaten bedient, verfügt eigenen Angaben zufolge über eine Datenbank von 135 Millionen registrierten Wählern, also immerhin rund die Hälfte aller wahlberechtigten Amerikaner.

Im Kommen sind Smartphoneapplikationen. Sie halten den Anwender mit Nachrichten über den Kandidaten sowie mit seinen geplanten Veranstaltungen am Laufenden. Wer diese App installiert, legt den jeweiligen Wahlkampfteams alles offen: den genauen Aufenthaltsort via GPS, alle gespeicherten Telefonnummern sowie wann wo mit wem kommuniziert wurde, Überwachung von SMS, vertrauliche Protokolldateien. Noch stecken diese Programme in den Kinderschuhen. Bis zu 5000 Menschen haben Romneys App auf ihrem Handy installiert, genauso viele sind es bei Obamas App. Die Tendenz ist auch hier steigend. Doch wenn es darum geht, am Laufenden gehalten zu werden, sind Facebook und Twitter nach wie vor die erste Wahl.

Der Vorteil der Sozialen Medien: Sie sind billig

Über die beiden kommt man auf eine weitere wichtige Online-Komponente des Wahlkampfs: Youtube. Das Internet-Videoportal erlaubt es, Werbespots viel effektiver als bisher an den Wähler zu bringen. Früher bereitete das Kandidatenteam mühsam eine lange Rede vor, von der es schließlich vielleicht fünf Sekunden in die Hauptnachrichten schafften. Inzwischen stellt man kurze und prägnante Reden und Werbespots auf Youtube, zu denen die Anhänger via Facebook, Twitter und Co. gelotst werden. Früher musste man hoffen, dass die Zielgruppe gerade zur richtigen Zeit vor dem Fernseher saß. Nun genügt ein Link.

Der angenehme Nebeneffekt des Wahlkampfs in der virtuellen Welt: Er ist billig. Plakate, Inserate und vor allem Fernsehspots sind alle mit hohen Kosten verbunden. Ebenfalls teuer und mühsam sind Telefonumfragen zur Datenerhebung. Facebook, Apps und Co. sind quasi gratis und zuverlässiger.

Hat die neue Ära also bereits begonnen? So mancher Analyst glaubt, es sei trotz allem noch zu früh, die Durchdringung in der Bevölkerung noch nicht groß genug. Auch Bachleitner ist vorsichtig: "Es ist schwer abzuschätzen. Vielleicht sind die Social Media bereits das dominante Medium in den USA. Aber wenn sie es noch nicht sind, so sind sie zumindest drauf und dran, es zu werden." Für Obama ist das eine wichtige Frage; immerhin besagt eine alte Kampagnenweisheit: "Dominiere das dominierende Medium." Kennedy hat seinerzeit mit dem richtigen Zeitpunkt einen Sieg eingefahren. Obama wird dasselbe von sich sagen wollen. Doch richtiger Zeitpunkt oder nicht: Die Zukunft des Wahlkampfs wird auf jeden Fall den Social Media gehören.

Facebook, Twitter und Co.

  • Social Media sind digitale Medien und Technologien, die es Nutzern ermöglichen, sich untereinander auszutauschen.

  • Facebook ist eine Gemeinschaft im Internet. Darauf kann man ein eigenes Profil erstellen, andere Nutzer als Freunde hinzufügen, Nachrichten sowie Daten austauschen und eigene Interessengruppen gründen. Bereits ein Fünftel aller Seitenaufrufe im Internet betrifft Facebook.

  • Twitter ist ein Dienst zur Verbreitung von telegrammartigen Kurznachrichten, die derzeit noch maximal 140 Zeichen enthalten dürfen. Ein Follower verfolgt die Nachrichten einer bestimmten Person.

  • Ein Smartphone ist ein Mobiltelefon, das mehr Computerfunktionalität als ein herkömmliches Handy hat.

  • Eine App(likation) ist ein Computerprogramm für ein Smartphone.