Barack Obamas Rede zur Gesundheitsreform hatte beides: Prinzipientreue und Kompromissbereitschaft. Am Ende las jeder für sich heraus, was er wollte. Während die einen Obamas Kompromissbereitschaft herausstrichen, bejubelten andere, dass er auf der Schaffung einer staatlichen Krankenversicherung beharrt.
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Damit liegt Obama voll im Trend der öffentlichen Meinung. Sofern man den Umfragen glauben darf, wünscht sich die überwältigende Mehrheit der Amerikaner eine von beiden Parteien abgesegnete Lösung bei der Erneuerung des Gesundheitssystems.
Geht es darum, seinen Popularitätsverlust der letzten Wochen zu stoppen, dürfte Obamas Rede ihre Wirkung kaum verfehlt haben. Sie war leidenschaftlich, rhetorisch brillant und legte in einfachen Worten (wenn auch mit ein paar mulmigen Abkürzungen) dar, wie Obama das US-Gesundheitssystem zu verbessern sucht.
Der Präsident verabsäumte dabei nicht, notwendige Stärke zu zeigen. Alle Amerikaner sollten eine Krankenversicherung haben, erklärte er. Er machte sich sogar für eine Verpflichtung aller Amerikaner stark, sich zu versichern, da sie sonst der Allgemeinheit schadeten. Ein Argument, das für viele Amerikaner aber schwer nach verpöntem Sozialismus riecht.
Gleichzeitig sagte Obama, er sei bereit zu Kompromissen mit seinen Gegnern. Mit diesem Spagat hat er es teilweise geschafft, sich als überparteilichen Mittler zu inszenieren. Analytisch trug er die Extrempositionen der Linken und der Konservativen vor, die er unter einen Hut zu bringen versucht. Dies war wohl ein notwendiger Ansatz, denn ein totales Bekenntnis zum linken Flügel der Demokraten hätte ihn wahrscheinlich nicht nur Popularität sondern auch eine Mehrheit gekostet.
Dennoch werden Anhänger, die sich bisher mit Obama für seine sozialen Visionen eingesetzt hatten, einen bitteren Nachgeschmack von Enttäuschung haben, wenn sie daran denken, dass sie von ihm plötzlich als ferne Gruppe am äußeren Rand des politischen Spektrums behandelt werden. Doch Obama vertraut offensichtlich auf ihren Rückhalt, während er die Rolle des gemäßigten Zentristen übernimmt. Es bleibt abzuwarten, ob das nicht zu späterer Gelegenheit ein Bumerang wird.
Im Bestreben Opponenten entgegenzukommen, ging Obama sogar so weit, eigene Vorschläge zu relativieren: Schätzungen zufolge würden ohnedies nur fünf Prozent der Amerikaner seine geplante staatliche Krankenversicherung in Anspruch nehmen - kein Grund zur Sorge also.
Überzeugen kann das wohl nur die parteiinternen Gegner seiner Gesundheitsreform. Für die Republikaner ist dies die erste große Gelegenheit, Obama eine empfindliche Niederlage zuzufügen, und die wollen sie sich auch weiterhin nicht entgehen lassen.