US-Präsident hielt Wahlversprechen. | Lage im Irak bleibt weiterhin unsicher. | Einsatz wird formell erst Ende August beendet. | 50.000 Soldaten bleiben bis 2011. | Bagdad/Wien. Für Barack Obama war der Donnerstag wohl ein freudiger Tag. Der Urlaub mit der Familie stand bevor. Und vor seiner Abreise zum zehntägigen Urlaub auf der Atlantik-Insel Martha's Vineyard vor der Küste von Massachusetts konnte er die Nachrichten vom Abzug der letzten US-Kampfbrigade aus dem Irak verfolgen.
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Überrascht hat ihn das Datum wohl nicht - der Rückzug über die Grenze nach Kuwait hatte schon am Samstag begonnen, erst am Donnerstag wurde er publik gemacht.
Mit dem raschen Abzug der USA aus dem seit siebeneinhalb Jahren umkämpften Zweistromland hat Obama den wichtigsten Teil eines Wahlversprechens wahrgemacht. Im Hinblick auf die im November anstehenden Kongresswahlen konnte er sich eine Atempause verschaffen. Der einst so beliebte Präsident ist nämlich in den Meinungsumfragen stark abgerutscht, viele wahlwerbende Parteikollegen wollen sich zur Zeit lieber nicht mit ihm zeigen. Vor allem der mangelnde Aufschwung der Wirtschaft nach der Krise wird ihm zum Vorwurf gemacht. In einer neuen GfK-Umfrage bewerten nur 41 Prozent der Interviewten die ökonomische Leistung des Präsidenten als gut.
Unstabile Lage
Allerdings ist auch nicht ausgemacht, dass ihm der Irak-Abzug mehr Sympathien bringen wird. Einen Strich durch die Rechnung machen könnten ihm die Iraker selbst. Denn die Lage im Land ist alles andere als stabil. Seit mehr als fünf Monaten streiten die Parteien über die Bildung einer neuen Regierung. Die Wirtschaftslage ist schlecht, die Arbeitslosigkeit hoch und die ständigen Stromausfälle zermürben die Bevölkerung. Und die Aufständischen schüren mit einer wachsenden Zahl von Anschlägen im ganzen Land die Angst und die Unzufriedenheit. Einen Tag nach dem Anschlag im Zentrum Bagdads von Mittwoch, der rund 60 Menschenleben kostete, explodierte in einem schiitischen Viertel der Hauptstadt ein Tanklaster - es gab mindestens acht Tote. Eine Bombe vor einem Gerichtsgebäude in Tikrit kostete zwei Wachleute das Leben.
Auch der seinerzeit vielgepriesene Versöhnungskurs mit sunnitischen Stammesfürsten, die ehedem zu den Bekämpfern der USA gehörten, scheint wieder in Gefahr. Es häufen sich Berichte, dass die Terrororganisation Al Kaida versucht, die scheinbar Geläuterten erneut umzudrehen, indem sie ihnen mehr Geldzuwendungen verspricht als die staatlichen Behörden.
4400 tote US-Soldaten
Das hatte sich Obama-Vorgänger George W. Bush noch ganz anders vorgestellt, als er am 1. Mai 2003 das Ende der großen Kampfhandlungen verkündete. In wenigen Wochen hatten die US-Armee und die verbündeten Briten die Diktatur Saddam Husseins hinweggefegt und dabei nur Verluste von 171 Soldaten hinnehmen müssen. Mittlerweile liegt die Zahl der getöteten GIs offiziell bei 4415. Denn die US-Armee geriet alsbald in blutige Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten.
Die Massenvernichtungswaffen, die Bush als Kriegsgrund angeführt hatte, wurden nie gefunden. Auch Saddams angebliche Verbindung zur Al Kaida war nie nachzuweisen. Stattdessen brachte die von vielen Muslimen als ungerechtfertigte Besatzung empfundene US-Präsenz dem Terrorismus international neuen Zulauf. Und die Wahlen, die dem Land laut der Bush-Regierung die Demokratie bringen sollten, spülte Parteigänger des Mullah-Regimes im Iran nach oben, eines Erzfeindes der USA.
"Ende der Operation"
Die noch unter Bush verstärkte US-Truppenpräsenz hat die Gewalt zwar teilweise deutlich zurückgehen lassen. Wie unsicher die Lage aber weiterhin bleibt, zeigt die Geheimhaltung, unter der die letzte Brigade abgezogen ist. Weil die Armee Anschläge in letzter Sekunde fürchtete, wurde Journalisten, die die 4. Stryker-Brigade der 2. Infanteriedivision auf ihrem 580 Kilometer langen Landweg begleiteten, verboten, darüber zu berichten, ehe alle Soldaten Kuwait erreicht hatten.
Der Sprecher des US-Außenministeriums Stephen Crowley bezeichnete den Abzug als "historischen Moment." Dies markiere nach siebeneinhalb Jahren das Ende der "Operation Iraqi Freedom". Formell endet der Kampfeinsatz trotzdem erst wie vorgesehen am 31. August, wie ein Regierungsvertreter betonte, "wenn die Brigaden, die noch im Irak sind, umgewidmet werden zu Brigaden, die beraten und assistieren." Außerdem müssen noch 6000 Soldaten von Spezialeinheiten bis zum Monatsende abgezogen werden.
Zurückbleiben vorläufig 50.000 Mann zur Ausbildung und zur Terrorbekämpfung. Viel zu wenig, wie der irakische Generalstabschef Babaker Sebari kürzlich meinte. Die volle Einsatzbereitschaft seiner Streitkräfte sei erst 2020 zu erreichen. Deshalb hält er den für Ende 2011 geplanten endgültigen US-Abzug für viel zu früh.
Hat es sich gelohnt?
Sogar Saddams ehemaliger Außenminister Tarik Aziz, der nun in Bagdad im Gefängnis sitzt, warnt vor einem endgültigen US-Rückzug. Kürzlich sagte er in einem Interview: "Obama ist ein Heuchler, er überlässt den Irak den Wölfen."
Die Angst vor neuerlicher Gewalt und Chaos belastet auch die irakische Bevölkerung. Und auch die abziehenden Soldaten, von denen manchen schon ihren vierten Irak-Einsatz absolviert haben. Die großen Jubelszenen blieben aus. Zwar ist man erleichtert, wieder nach Hause zu kommen. Es überwiegt aber der Zweifel, ob sich die jahrelangen Anstrengungen und die vielen Toten gelohnt haben. "Ich hoffe, dass gute Dinge dabei herauskommen", zitiert die "Washington Post" einen 26-jährigen Soldaten, der im September 2003 erstmals in den Irak kam. "Aber ich glaube, dass das Land, sobald wir abziehen, in seine Teile zerfällt."
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