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Obama zieht seinen Kurs durch

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Dass selbst seine eigene Partei von der neuen Strategie für Afghanistan alles andere als angetan ist, lässt den US-Präsidenten kalt: Barack Obama gibt sich immun gegen Angriffe.


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Fast heiter wirkte US-Präsident Barack Obama, als er am Dienstag seine neue Afghanistan-Strategie einer kleinen Gruppe von Kolumnisten bei einem Mittagessen in der Bibliothek des Weißen Hauses erläuterte - obwohl er weiß, dass aus beiden politischen Lagern Kritik kommt. "Mir ist völlig klar, dass ich mich damit nicht beliebt mache", sagte Obama, "und nicht nur das, diese Entscheidung ist noch dazu am allerunbeliebtesten in meiner eigenen Partei. Aber das ist eben für mich kein Maßstab bei der Entscheidungsfindung." Obama sprach diese Worte vor buchbedeckten Wänden, viele davon gefüllt mit den Taten seiner Vorgänger, die manchmal Kriege unternahmen, die sehr schmerzlich endeten. Aber dieser Präsident hat keine Schmerzen - zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Äußerst präzise auf den Punkt gebracht, so präsentierte uns Obama die Details seiner neuen Strategie. Er sprach nicht vom Siegen, er erhob nicht seine Stimme. Er tauchte uns auch nicht in ein Gefühl von Blut und Tränen und Schlachtgetümmel. Auch bei dieser so überaus wichtigen und folgenschweren Entscheidung seiner Präsidentschaft entsprach er seinem Image als "No-Drama-Obama".

Seine Entscheidung halte ich für richtig: Eine zukunftsfähige Exit-Strategie für Afghanistan muss mit großer Wucht beginnen, mit 30.000 zusätzlichen US-Truppen, die für mehr Sicherheit in den großen Bevölkerungszentren des Landes sorgen sollen, damit die Kontrolle über sie rascher den afghanischen Sicherheitskräften übergeben werden kann. Auf diesen Transferprozess, beginnend im Juli 2011, läuft die Strategie hinaus.

US-Befehlshaber scheinen Obamas Entscheidung zu begrüßen, wenn sie sich auch gewünscht hätten, Obama hätte sie viel rascher getroffen. US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen soll ganz besonders erfreut darüber sein, dass die zusätzlichen Truppen in nur sechs Monaten nach Afghanistan geschickt werden, also sogar früher, als General Stanley McChrystal sie angefordert hat.

Politisch kommt die Entscheidung aber weniger gut an. Die Demokraten sind vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme über die zusätzlichen Kosten verärgert. Und den Republikanern passt nicht, dass Obama mit der kurzen, nur 18-monatigen Befristung des Einsatzes den Taliban signalisiere, dass sie lediglich ein bisschen Geduld haben müssten, um doch noch die Oberhand zu gewinnen. Aber Obama besteht darauf: "Unter diesen Umständen ist es so am besten." Allerdings räumte er ein: "Wir müssen hier aus Optionen wählen, die alles andere als ideal sind."

Oft wird im Zusammenhang mit Afghanistan von "Obamas Vietnam" gesprochen. Obama widerspricht dieser Analogie: Die Vietnamesen haben keine 3000 Menschen in den USA getötet wie Al Kaida; in Afghanistan gehe es um keine nationalistische Bewegung; es werde keinen Open-End-Einsatz geben. "Die Behauptung, es handle sich hier um ein weit entferntes Land, das nichts mit uns zu tun hat, entspricht nicht den Tatsachen", betont er.

Die Bedenken vieler, die Taliban könnten die Angelegenheit aufgrund der klaren Frist einfach aussitzen, servierte ich Obama bei unserem Mittagessen. Aber auch davon hält er nichts: "Der Logik dieses Arguments entsprechend müsste man für immer in Afghanistan bleiben." Die Befristung zwinge ganz im Gegenteil die Afghanen, ihre Schritte rechtzeitig zu setzen.

Mir scheint das der fragwürdigste Teil der neuen Strategie zu sein. Man teilt dem Gegner mit, zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuziehen, weil ab dann die Macht übernommen werden soll, durch den Verbündeten - oder sonst wen.

Übersetzung: Redaktion