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Obamas Frontalangriff

Von Michael Schmölzer

Politik

"Nein" zu Syrien-Plänen wäre für Präsident innenpolitische Katastrophe.


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Washington/Damaskus. Für US-Präsident Barack Obama geht es um viel: Schon in der zweiten Wochenhälfte könnte der US-Kongress über einen Militärschlag in Syrien abstimmen, immer noch ist der Ausgang des Votums offen. Obama will Syriens Regime für einen Giftgas-Angriff im August bestrafen, stößt dabei aber auf zahlreiche Hindernisse. So ist er darauf angewiesen, dass die demokratische Fraktionsführerin im US-Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, mindestens 80 Prozent der 200 Demokraten auf Linie bringt. Zusätzlich müssten vier bis fünf Dutzend Republikaner dem Appell der beiden Parteigranden John Boehner und Eric Cantor folgen und Ja zum Krieg sagen. Davon, so berichtet die "Washington Post", ist Obama noch weit entfernt (siehe Grafik). Nur 25 Abgeordnete sind eindeutig für den Militärschlag, 111 haben sich klar dagegen ausgesprochen und 115 sind zumindest skeptisch.

Im Senat wird es aus Sicht Obamas etwas leichter werden, dort dominieren die Demokraten und dort sind 60 von 100 Stimmen pro Militäreinsatz notwendig. Mehrheitsführer Harry Reid kündigte für Mittwoch die Abstimmung über Syrien an.

Obama "lahme Ente"?

Sollten die Kriegspläne im Kongress abgelehnt werden, wäre das für Obama die innenpolitische Niederlage schlechthin. Er würde fortan als "lahme Ente" wahrgenommen, also als Präsident, der faktisch handlungsunfähig ist. Und das, wo noch im Herbst wichtige Budget-Entscheidungen anstehen. Zudem könnte ein "Nein" zum Syrien-Einsatz international Konsequenzen nach sich ziehen. Außenminister John Kerry warnt bereits, dass Erzfeinde wie Nordkorea und der Iran sich ermutigt fühlen dürften, ihre umstrittenen Atomprogramme voranzutreiben. Genau darum geht es Obama: die Glaubwürdigkeit der USA in der Welt zu erhalten. Immerhin hat er den Einsatz von Giftwaffen als "rote Linie" bezeichnet. Deshalb hat das Weiße Haus eine einzigartige Kampagne gestartet, um die unentschlossenen Mandatare auf seine Seite zu ziehen. Gestern Abend haben die fünf größten Sender Interviews mit den US-Präsidenten ausgestrahlt, Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice will eine Grundsatzrede halten - auch der US-Präsident will sich heute Dienstag (Ortszeit) direkt ans Volk wenden.

Im Kongress zweifelt kaum jemand daran, dass die syrische Armee Giftgas eingesetzt hat, um in Damaskus militärisch die Oberhand zu gewinnen. Viele Abgeordnete fragen sich allerdings, wo hier die behaupteten Interessen der USA sind. Laut CNN-Umfrage sind sieben von zehn US-Bürgern der Ansicht, dass ein Militärschlag nicht der richtige Weg wäre. Es sei nicht im Interesse der USA, in den syrischen Bürgerkrieg involviert zu werden. Auch Frankreich, Großbritannien und Deutschland zweifeln nicht daran, dass Bashar al-Assad für den Giftgas-Angriff vom August verantwortlich ist. Der 100-prozentige Beweis liegt aber nicht vor. Offen ist auch noch das Ergebnis der UN-Inspektoren waren. Und immer wieder taucht der Verdacht auf, dass es doch anders gewesen sein könnte: Die "Bild"-Zeitung berichtete am Wochenende, das deutsche Spionageboot "Oker" habe vor Syriens Küste Funksprüche abgehört, wonach Armee-Kommandeure wiederholt den Einsatz von Chemiewaffen gefordert hätten - was die Führung Assad aber abgelehnt habe.

Der syrische Diktator selbst äußert sich gegenüber dem US-Sender CBS erstmals direkt zu den Vorwürfen. "Es gibt keine Beweise, dass ich Chemiewaffen gegen meine Bevölkerung eingesetzt habe, ich war es nicht."

Der "Los Angeles Times" zufolge plant Obama einen dreitägigen Militärschlag, bei dem nicht nur Marschflugkörper von Schiffen abgeschossen, sondern auch Luftwaffenbomber eingesetzt werden könnten. Das Weiße Haus habe das Pentagon um eine erweiterte Liste von Zielen ersucht, so das Blatt. Obama würde damit über den ursprünglich vorgesehenen Bestrafungs-Schlag hinausgehen, der nur mit Marschflugkörpern ausgeführt werden sollte.

Unterdessen will Russland nun seinen Einfluss auf Syriens Präsident Bashar al-Assad nutzen, um einen Militärschlag zu verhindern. Außenminister Sergej Lawrow sagte in Moskau, er wolle die Regierung in Damaskus zu Zugeständnissen drängen und forderte, das syrische Chemiewaffenarsenal unter Kontrolle der internationalen Gemeinschaft zu stellen und zu zerstören. Dafür sprachen sich auch Frankreich, Großbritannien und die Vereinten Nationen aus. Die USA wollen den Vorschlag prüfen, zeigten sich jedoch skeptisch.

Syriens Außenminister Walid al-Muallem begrüßte den Vorschlag. Ob auch Assad einer internationalen Kontrolle zustimmen werde, ließ Muallem jedoch offen.

Sehr zurückhaltend reagierten die USA auf den russischen Vorschlag. Man sehe die Initiative mit "tiefer Skepsis" und als mögliche Hinhaltetaktik. Es sei "kein Zufall", dass Russland ausgerechnet jetzt einen solchen Vorstoß unternehme, argumentierte die Sprecherin des Außenministeriums in Washington.

Auch die syrischen Rebellen bezweifelten, dass die Regierung in Damaskus eine internationale Kontrolle über seine Giftgasvorräte zulässt. "Wir glauben, dass das Regime nur versucht, sich Zeit zu erkaufen", sagte ein Sprecher der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee.