Die USA suchen in Afghanistan neuerdings das Gespräch mit denen, die sie bisher mit Waffen bekämpften - es wird aber trotzdem schwierig, den Krieg zu beenden.
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Es war unglaublich: Ein als forsch bekannter US-Diplomat und der Generalstabschef der US-Armee saßen in Kabul mit einer wild aussehenden Delegation afghanischer Stammesführer mit langem Bart und Turban am Verhandlungstisch, darunter ein Mann, der zwei Jahre in Guantanamo inhaftiert war. Und die Amerikaner baten die Stammesführer um Rat, wie es im Afghanistan-Krieg weitergehen soll.
Ein wettergegerbter Mann aus der Provinz Paktia, der für die Gruppe sprach, fixierte die beiden US-Würdenträger mit einem Blick, der aus einer anderen Zeit zu kommen schien. Die USA hätten Afghanistan geholfen, sich gegen Russland zu wehren, sagte er, aber nun würden sie selbst in die Fußstapfen der Russen treten. Die Amerikaner sollten aufhören, afghanische Zivilisten zu töten und lieber mit Vertretern der aufständischen Taliban darüber beraten, wie man diesen Krieg beenden kann, riet er. Die Amerikaner nickten.
Richard Holbrooke, der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, ein Mann, der den Ruf hat, mitunter etwas zu energisch und halsstarrig zu sein, fragte die Stammesführer betont nett: "Was zieht die Menschen zu den Taliban?" Und US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen räumte der Gruppe gegenüber ein, dass die US-Armee zu lange gebraucht habe, um einzusehen, welcher Schaden mit den Hausdurchsuchungen und Bombardierungen angerichtet werde, und versprach, nach neuen Wegen zu suchen.
So ging das mehr als zwei Tage dahin. Die beiden sprachen auch noch mit Oppositionspolitikern, mit Politikerinnen, mit Agrarexperten und muslimischen Religionsführern. Die Botschaft war immer die gleiche: Bei der Präsidentschaftswahl im August werden die USA keinen Kandidaten unterstützen oder ablehnen, die USA werden Milliarden US-Dollar für die Ausbildung von Militär und Polizei in Afghanistan investieren, damit sie selbst und ihre Verbündeten das Land rascher verlassen können, und sie werden weiter das Gespräch mit denen suchen, die sie bisher mit Waffen bekämpft haben.
Es war ein diplomatisches Bravourstück. Und es scheint die gewünschte Wirkung erzielt zu haben. "Genau darauf haben wir gewartet", sagte der afghanische Innenminister Hanif Atmar. "Afghanisierung" des Krieges nannte er die neue Afghanistan-Politik von US-Präsident Barack Obama: Der Großteil seiner Landsleute werde sie "von ganzem Herzen unterstützen", kündigte er an.
Alles in allem war dieser Afghanistanbesuch eine außergewöhnliche Übung in strategischem Zuhören, vor allem für eine Supermacht, deren Kommunikationsstrategien während der Bush-Ära lediglich in einem noch lauteren Tonfall bestanden. Besonders interessant war es, Holbrooke beim Zuhören zuzusehen. "Welche Vorschläge haben Sie noch?", fragte er die Stammesführer.
In gewisser Weise war all der Optimismus, dass die Probleme Afghanistans allein durch Reden gelöst werden können, aber irreführend. Wie schwierig es sein wird, dem Krieg eine andere Richtung zu geben, zeigte mir ein Blick auf die Landkarte im Büro von Innenminister Atmar mit all den Markierungen der fast geschlossenen Gebiete von Problemzonen im Süden Afghanistans.
Am anderen Ende Kabuls bekommt man im Konferenzzimmer des US-Militärkommandos Folgendes zu lesen: "Das Glas ist halb voll". Das kann schon sein, aber es steht ein Sommer heftiger Gefechte bevor, und Obamas Krieg könnte sich verschlimmern, ehe es besser wird.
Dabei ist Afghanistan nicht einmal das größte Problem, das Holbrooke und Mullen haben: Viel größere Sorgen macht ihnen der Aufstand der Taliban im benachbarten Pakistan.
Übersetzung: Redaktion