Obama will mit einer Prise Populismus den Republikanern Paroli bieten.
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Washington/Wien. Es war eine denkwürdige Rede zur Lage der Nation: "Diese Regierung erklärt hier und heute den bedingungslosen Krieg gegen die Armut in Amerika. (...) Das wird kein kurzes oder einfaches Ringen, keine einzelne Waffe oder Strategie wird genügen, aber wir sollen nicht ruhen, bis dieser Krieg gewonnen ist." Diese Kriegserklärung wurde vor etwas mehr als 50 Jahren von einem Präsidenten ausgesprochen, der später wegen seines sehr realen Krieges in Indochina zur Zielscheibe der Vietnamkriegsgegner wurde: Lyndon B. Johnson.
Bei seiner heutigen Rede zur Lage der Nation wird der 43. Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama das Thema Armut und soziale Ungleichheit ganz oben auf seine Agenda setzen.
Soziale Ungleichheit hat stark zugenommen
Im November stehen Kongresswahlen an, Obama und seine Partei sehen in der Frage der sozialen Ungleichheit ein mögliches starkes Wahlkampfthema. Eine neue von der Tageszeitung "USA Today" in Auftrag gegebene Umfrage des Pew Research Center kommt zum Schluss, dass eine Mehrheit sowohl von Republikanern als auch von Demokraten der Meinung sind, dass die soziale Ungleichheit in den vergangenen 10 Jahren merklich zugenommen hat. Eine Mehrheit der Befragten spricht sich dafür aus, die Arbeitslosenunterstützung für Langzeitarbeitslose zu verlängern und das gesetzlich garantierte Mindesteinkommen zu erhöhen.
Die Meinungsumfragen bilden - zumindest in diesem Punkt - die Realität gut ab: Die soziale Ungleichheit in den USA hat tatsächlich stark zugenommen. 1967 lag der Gini-Koeffizient bei 0,40, 2009 bei beinahe 0,47 - ein ähnlich hoher Wert wie Mexiko, in dem 51 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben und das gleichzeitig die Heimat des Mobiltelefon-Magnaten Carlos Slim - mit 73 Milliarden Dollar reichster Mann der Welt - ist. Zum Vergleich: In Österreich liegt dieser Wert bei 0,26, in Brasilien bei 0,59. Der Gini-Koeffizient gibt Auskunft über die Ungleichverteilung von Einkommen oder Reichtum in einem Land: Liegt der Wert bei null, dann bedeutet das, dass alle Bürger gleich viel Einkommen beziehen, liegt der Wert bei eins, dann bedeutet das, dass einer alles und andere nichts erhalten.
Am stärksten driften die Leistungseinkommen auseinander, wie der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg darstellt: Der CEO der Modekette Abercrombie & Fitch Co., Michael Jeffries verdiente 2012 rund 48,1 Millionen Dollar, das Durchschnittseinkommen der Mitarbeiter in der US-Modebranche liegt bei 29.310 Dollar, der CEO dieser Firma verdient also 1640-mal so viel wie ein durchschnittlicher Mitarbeiter. Bei Coca Cola liegt dieser Wert bei 195, der CEO verdiente 2012 10,2 Millionen Dollar, ein durchschnittlicher Mitarbeiter kommt auf rund 52.537 Dollar.
Kindergärten alsObamas Lieblingsthema
Schon in seiner State of the Union 2013 sprach Obama über seine Vision, die Mindestlöhne im ganzen Land anzuheben. Der Mindestlohn für einen Arbeiter liegt derzeit in den USA bei durchschnittlich 14.500 Dollar im Jahr, "sogar mit den Steuergutschreibungen, die wir beschlossen haben, lebt eine Familie mit zwei Kindern, die mit einem Mindestlohn auskommen muss, unter der Armutsgrenze. Das ist nicht in Ordnung", sagte Obama am 12. Februar 2013 vor den Kongress-Abgeordneten. Heute wird Obama etwas Ähnliches sagen. Der Mindeststundensatz in den USA liegt seit 2009 bei 7,25 Dollar pro Stunde, schon bei seiner Rede 2013 appellierte der Präsident, diesen Stundensatz auf 9 Dollar zu erhöhen, passiert ist seither nichts. Das hat zur Folge, dass der inflationsbereinigte Mindestlohn heute so niedrig liegt wie zwischen 1955 und 1956.
Ein weiterer Remix von 2013 wird wohl Obamas Appell, im ganzen Land Vorschulen einzurichten sein. "Jeden Dollar, den wir in hochqualitative Früh-Erziehung stecken, bringt später mehr als sieben Dollar - indem die Zahl der höheren Abschlüsse steigt, weniger Teenager-Schwangerschaften auftreten und sogar die Zahl der Gewaltverbrechen zurückgeht", sagte Obama 2013. Obama hat damals darauf verwiesen, dass in jenen US-Bundesstaaten, in denen die frühkindliche Erziehung gefördert wird, wie etwa Georgia oder Oklahoma, die Leistung der Schüler in Fächern wie Englisch oder Mathematik höher ist, es eine höhere Rate von Mittelschulabgängern gibt, diese Menschen dann im Arbeitsleben eher in der Lage sind, einen Job zu finden und auch zu behalten, und sie auch eher in der Lage sind, stabile Familien zu bilden.
Stärkste Waffe gegendie Republikaner
Obama hört, so heißt es, in dieser Frage auf den Ökonomen und Nobelpreisträger (im Jahr 2000) James Heckman, der fordert, dass es bereits für Drei- und Vierjährige einen Vorschulplatz geben müsse. Heckmans Ideen sind in die Redepassage von 2013 eingeflossen. Heckman, so berichtet das US-Wirtschaftsmagazin "Bloomberg Businessweek", hat errechnet, dass die Investitionen in Vorschulen und Kindergärten eine "Rendite für die Gesellschaft" von rund sieben bis 10 Prozent bringen. Jeder Dollar, der für die Vorschule eines oder einer Vierjährigen ausgegeben wird, ist zwischen 60 und 300 Dollar wert, wenn dieser Mensch ein Alter von 65 Jahren erreicht hat. Einige Bundesstaaten sind bereits viel weiter als Obama in seinen Forderungen - sie geben hunderte Millionen Dollar für Kindergärten und Vorschulen aus.
Obamas Fokus auf soziale Ungleichheit und soziale Mobilität ist wohl auch Teil der Strategie der Demokraten für die Kongresswahlen im November dieses Jahres: Wenn es den Republikanern nämlich bei diesen sogenannten Midterm-Elections gelingt, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu halten und sogar die Mehrheit im Senat zu erringen - wonach es derzeit immer mehr aussieht -, sind die Gestaltungsmöglichkeiten für Obama in den kommenden Jahren sehr gering. Das Thema der sozialen Ungleichheit ist derzeit die stärkste politische Waffe gegen die Republikaner.