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Obamas Umweltoffensive: Wende in der Klimapolitik?

Von Roland Benedikter und Andrea Unterweger

Gastkommentare

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Roland Benedikter forscht am Orfalea Zentrum für globale und internationale Studien der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, ist Senior Scholar des Council on Hemispheric Affairs Washington DC, Senior Affiliate des Edmund Pellegrino Centers der Georgetown University Washington DC und Vollmitglied des Club of Rome. Kontakt: rolandbenedikter@yahoo.de.
© Benedikter

Spät, aber doch. US-Präsident Barack Obama hat seit einigen Monaten die Endoffensive zur Rettung seiner Amtszeit für die Geschichtsbücher gestartet. Darunter sind für US-Massstäbe starke Massnahmen in der Umweltfrage. "Wir haben nur ein Zuhause, einen Planeten. Wir haben keine Wahl - es gibt keinen Plan B", so der Präsident bei der Vorstellung seiner "Umweltrevolution für eine neue amerikanische Generation" Anfang August. Obamas Umweltpolitik soll nach sieben ereignislosen Jahren im achten und letzten Jahr seiner Amtszeit konkret werden - und so folgen jetzt auf bisherige internationale Ankündigungen (etwa beim G7-Gipfel in Elmau) nationale Taten.

Andrea Unterweger ist Juristin mit Spezialisierung auf internationalem Recht in Innsbruck und Bozen. Kontakt: andrea.unterweger@hotmail.com.
© Unterweger

Bereits im Jahr 2008 propagierte Obama in seiner Wahlkampagne die grüne Wende für Amerika. Dies nicht zuletzt, um mit Chinas auf dem 11. Volkskongress 2008 angekündigten Investitionen in erneuerbare Energien Schritt zu halten sowie in möglichst enger Zusammenarbeit mit dem Reich der Mitte. Dazu fanden mit Chinas damaligem Vize- und späteren Präsidenten Xi Jinping bereits kurz nach Amtsantritt mehrere Treffen statt. Zu Beginn seiner Amtszeit wollte Obama die USA aus der Rezession in eine neue ökonomische Blüte führen - und diese "Wiedergeburt" ausdrücklich mit dem Aufstieg zur führenden Nation auf dem Gebiet ökologischer Standards verknüpfen. Neue Arbeitsplätze sollten entstehen – im Zug einer für die USA neuartigen Umwelt-Reformpolitik.

Bereits im ersten Jahr 2009 startete Obama den Versuch, mit einem für die USA revolutionären Klimagesetz Verringerungen der Emissionen durchzusetzen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es ging dabei unter anderem um die Einführung eines Emissionshandelssystems zwischen den US-Bundesstaaten. Im Kongress scheiterte das Vorhaben jedoch durch pateiinterne Gegner, vor allem aber durch die republikanische Opposition, die sich schnell als Pauschalblockade von Obamas Erneuerungspolitiken zu erkennen gab – und in der von der Bevölkerungsmehrheit wenig beachteten Umweltfrage schnell die Möglichkeit erkannte, den Präsidenten schlecht zu machen und seine Sympathiewerte zu vermindern.

Auch aus diesem Grund vernachlässigte der Präsident die Umweltpolitik letztlich fast über seine gesamte Amtszeit und konzentrierte sich eher auf innenpolitische Themen wie die Gesundheitsreform, die Sensibilisierung für Ungleichheit und ethnische Diskriminierung sowie die aussenpolitische Aussöhnung mit "Jahrhundert-Gegnern", darunter Iran und Kuba. Doch gegen Ende seiner Handlungsfähigkeit möchte Obama nun Zeichen setzen. Da der Präsident genau weiss, dass die Republikaner alles tun werden, um nationale Reformen in der Emissions- und Umweltfrage ebenso zu verhindern wie den Beitritt der USA zu bindenden internationalen Abkommen, ganz zu schweigen von einer aktiven Rolle Amerikas bei Entwurf und Durchsetzung solcher Abkommen, mag es sein, dass dieses Zeichen nur für die Nachwelt bestimmt ist. Trotzdem kann es in seiner Bedeutung für die US-amerikanische Bewußtseinsbildung kaum überschätzt werden. Und da Amerika nach wie vor die führende Macht der Erde ist und auf absehbare Zeit trotz des Aufstiegs anderer Mächte bleiben wird, ist Obamas Reform auch bedeutend für die Welt-Umweltfrage.

Beim neuen "Clean Power Plan" vom 3. August 2015 will Obama die politische Opposition umgehen, indem er gestützt auf die Vollmachten unter dem Luftreinhalte-Gesetz ("Clean Air Act") die Umweltbehörde Enviromental Protection Agency (EPA) einsetzt, die für die Regulierung neuer, weit schärferer Standards zuständig sein soll und nun selbständig Vorschriften erlassen wird. Die Bundesstaaten erhalten durch den "Clean Power Plan" Zielvorgaben, die sie in Eigenregie umsetzen müssen. Bis 2018 läuft die Frist, bis die Staaten der Umweltbehörde ihre detaillierten Konzepte vorlegen müssen, wie die geplante Emissionsverringerung mittels konkreter Maßnahmen erreicht werden soll.

Gegen den Plan haben bereits kurz nach seiner Bekanntgabe im August 2015 Justizminister aus 15 US-Bundesstaaten Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht – wohl wissend, dass Obama es diesmal bitter Ernst meint und es ein hartes Ringen geben wird. Als Begründung wurde angegeben, die Umweltschutzbehörde EPA habe ihre Befugnisse weit überschritten. Der Bund greife zudem mit den Auflagen in den Zuständigkeitsbereich der Staaten ein. Es wurde eine einstweilige Verfügung zur Aufhebung sämtlicher vorgesehener Fristen bis zu einem endgültigen Urteil beantragt. Sofern der "Clean Power Act" diese Anfechtungen vor Gericht besteht, würde dies das Ende für dutzende der im Jahr 2013 518 Kohlekraftwerke in den USA und den Aufschwung von Windrädern und Photovoltaik-Anlagen bedeuten. Die Republikaner sprechen von "hunderten" von Anlagen, die geschlossen werden müssten, was aber stark übertrieben sein dürfte.

Bei der geplanten Reform handelt sich nach heutigem Stand (und ohne mögliche Verwässerung) um die stärksten Einzel-Direktmaßnahmen, die je ein US-Präsident gegen den Klimawandel unternommen hat. Kernpunkte sind: Kraftwerke sollten ihren Schadstoffausstoß bis zum Jahr 2030 im Verhältnis zum Jahr 2015 um bis zu 32% reduzieren. Die Kraftwerke sind in den USA die größte Quelle von CO2 (bis zu 40% des gesamten Kohlendioxidausstosses). Obwohl sie energetisch nur 38% der Energieversorgung erbringen, sind die Kraftwerke für drei Viertel des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Zudem soll durch Obamas Reform der Anteil der erneuerbaren Energien von 22% auf 28% steigen. Der Strom soll vermehrt über Windräder und Solaranlagen produziert werden. Im Rahmen des geplanten "Cap and Trade"-Systems können überdies Bundestaaten, die weniger CO2 ausstoßen, als sie dürften, ihre eingesparten Emissionen an andere Staaten verkaufen, die ihre Emissionen überschreiten. Dies könnte ein Motor für ein globales Emissionshandelsystem sein - nun auch von Seiten der USA, die sich bisher derartigen Mechanismen (meist unter Hinweis auf die Nichtbeteiligung Chinas) weitgehend verweigert haben. In den USA ist der CO2-Ausstoß pro Kopf doppelt so hoch wie in anderen Industrienationen - und viermal so hoch wie jener vieler Schwellenländer.

Wie ist Obamas Initiative zu bewerten? Und was bedeutet sie für Europa?

Obamas Eintreten für eine neue US-Klimapolitik ist - dem Plan nach - eine Wende mit Potential für nationale und weltweite Veränderungen. Die USA könnten durch Änderungen in der Klimapolitik als Vorreiter in Sachen Klimabekämpfung agieren und damit auch andere hinterherhinkende Industrienationen wie China oder Indien zu ähnlichen Schritten bewegen. Forderungen zur Treibhausgasreduktion könnten von diesen Akteuren nun nicht mehr mit dem Hinweis auf noch schlimmere Klimasünder abgewürgt werden. Im Hinblick auf die UN-Klimakonferenz, die zwischen 30. November und 11. Dezember 2015 in Paris unter dem Vorsitz des französischen Außenministers Laurent Fabius stattfinden wird, könnte die geplante Reformakte Obamas nicht nur die europäische Agenda stärken, sondern auch zusätzlichen Druck auf Nationen wie Brasilien, Russland oder die "Next Eleven" auslösen, nun endlich ernstere Maßnahmen für den Klimaschutz zu treffen. Die "Next Eleven" sind elf bevölkerungsstarke Entwicklungsnationen, die noch keine Schwellenländer wie die BRICS-Staaten sind, sich aber auf dem Weg dahin befindenund bislang in Umweltangelegenheiten besonders weit zurück sind. Darunter sind laut Goldman-Sachs-Chefvolkswirt Jim O’Neill Indonesien, Mexiko und Pakistan.

Das globale Potential von Obamas Reformplan ist also unübersehbar. Doch trotz Obamas mutiger Anstrengung bleiben die Aussichten gemischt. Die Klimapolitik des Präsidenten stößt auf heftigen Widerstand aus der Energiewirtschaft und der mit ihnen verbündeten Bundesstaaten. Die oppositionellen Republikaner und die US-Kohle-Lobby vor allem in Staaten wie Kentucky, Wyoming, West Virginia und Missouri, also jener Staaten, die einen beträchtlichen Teil ihres Stroms aus Kohle gewinnen, lehnen Obamas Pläne ab. Ein Grundsatzkampf ist zu erwarten, der zumindest von den Republikanern wieder mit der "Entweder-Oder"-Keule der "Americanness" und der Beschwörung der angeblichen "Seele Amerikas" geführt werden dürfte – also mit zivilreligiösen Argumenten eher als mit sachlichen. Die Umweltfrage wird deshalb ein schwieriges Thema für die USA bleiben, das weiterhin für Polarisierung sorgt.

Warum das so ist, dafür gibt es viele Gründe, darunter historische, geographische und eben zivilreligiöse, die wir in unserem aktuellen Buchkapitel (August 2015) vertieft dargestellt haben: "Der amerikanische Way of Life und US-Sichten auf Klimawandel und Umwelt". ("The American Way of Life and U.S. Views on Climate Change and the Environment", in: Bernd Sommer, Hrsg: Cultural Dynamics of Climate Change and the Environment in Northern America, Brill 2015, S. 21-54, http://www.brill.com/products/book/cultural-dynamics-climate-change-and-environment-northern-america)

Mit Ausnahme des Center for Ecoliteracy in Palo Alto, das kalifornischen Kindergärten, Volks- und Mittelschulen seit 1995 Öko- und Umweltbildung anbietet und Kommunen berät, gegründet vom Innsbrucker Fritjof Capra, und einiger ähnlicher Initiativen vor allem in der traditionell auch "alternativen" San Francisco Bay Area wie dem California Institute for Integral Studies, hat die Umweltfrage trotz unzähliger Anstrengungen nie die institutionelle und vor allem breitenkulturelle Ebene des US-Selbstverständnisses erreicht. Daher sind heute die amerikanischen Kinder, die die Folgen des Klimawandels zu tragen haben werden, kaum informiert und mit widersprüchlichen und kontroversen Angaben darüber konfrontiert, ob es den Klimawandel überhaupt gibt. Daher gibt es kaum Umweltbildung in öffentlichen Schulen; und daher hat die kleine Grüne Partei der USA unterproportional wenig Mitglieder und Zulauf. Und das alles, obwohl die USA nach wie vor pro Kopf (nicht absolut) größter Verschmutzer und Verbraucher von Umwelt auf dem Globus sind.

Ob sich das mit Obamas Initiative ändern kann, steht noch in den Sternen. Zugleich darf man nicht vergessen, dass Obamas Umweltagenda selbst von Widersprüchen begleitet ist. Während der Präsident - unter anderem auf der Homepage der Regierung - große Veränderungen zum Schutz der Umwelt ankündigt, darunter in Abkommen mit China, erlauben seine Behörden nicht nur relativ flächendeckendes "Fracking", also umweltschädigendes Wasserbohren nach Schieferöl mit höchstem Wasseraufwand mittels Gesteinspressung in einem Ausmass, dass Kalifornien derzeit die größte Dürre aller Zeiten erlebt, sondern zum Beispiel auch seit Mitte August 2015 ein neues Shell-Bohrprojekt in der Arktis, das von Umweltschützern heftig bekämpft wurde. Shell soll in der Tschuktschensee an der Nordwestküste Alaskas in einem ökologisch sensiblen Gebiet unter Einhaltung bestehender Standards in relativ flachem Wasser nach Öl bohren dürfen – nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, der größten aller Zeiten in der Geschichte der USA im Jahr 2010, und der Ölpest 2015 im Meer vor Santa Barbara nahe dem Naturschutzgebiet der Channel Islands (Refugio Oil Spill) kein gutes Zeichen.

Fazit? Europa bleibt bis auf weiteres nichts anderes übrig, als Obamas Initiative nach Kräften zu begrüssen – und zu hoffen, dass sich der Präsident diesmal in seinem eigenen Land durchsetzt. Sollte Obama das Kräftemessen mit den Republikanern in der Umweltfrage verlieren, wäre das ein Signal für die US-Bevölkerung, dass die Umweltfrage weiterhin ein Verliererthema ist – und bleibt. Und das würde Umwelt- und Klimaagenden trotz aller sich häufenden Umweltkatastrophen wie extremer Dürre, Hurricanes oder Landschaftszerstörung durch Fracking im "Land der Freien und Tapferen" wohl für eine weitere Generation auf das Abstellgleis schieben.