Die ÖBB-Reform wurde gestern wie angekündigt im Ministerrat mit nur kleinen Änderungen abgesegnet. Kurz danach gab die Bahngewerkschaftsspitze bekannt, dass ab heute Mitternacht ein "unbefristeter Warnstreik" abgehalten wird. Die Postbus-Gewerkschaft schließt sich dem Streik an.
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Angeblich soll die Regierung die Rücknahme der Dienstrechtsänderungen angeboten haben, doch dies war der Gewerkschaft zu wenig. Sie will auch die Teilung der ÖBB in vier Aktiengesellschaften, fünf GesmbHs unter einer Holding nicht akzeptieren.
Die Strukturreform müsse auch zurückgenommen werden, da "mit dieser das Unternehmen in den Tod geführt wird", erklärte Eisenbahner-Gewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl. Die kleinen Änderungen sind für ihn bloß ein "Scheingefecht".
Der Entwurf wurde nämlich ein wenig entschärft: So verzichtet die Regierung auf das Sonderkündigungsrecht für die unter 40-Jährigen. Für Arbeiter im Außendienst soll es weiterhin Kündigungsschutz und eine Woche Zusatzurlaub geben. Und die Biennalsprünge werden erst nach einer Übergangszeit abgeschafft.
Rückhaltlose Unterstützung für die Reform bekam die Regierung abermals vom ÖBB-Vorstand. Generaldirektor Rüdiger vorm Walde forderte selbiges von den Mitarbeitern. Das Gebot der Stunde solle für alle lauten, "tatkräftig an der Neuorganisation mitzuarbeiten."
Haberzettl kann dieser Diktion nichts abgewinnen: "Die Zerstückelung der ÖBB wird auf einen Teilverkauf des Unternehmens hinauslaufen." Außerdem ortet er eine Menge von Unsicherheitsfaktoren und verweist auf die Kritik des Rechnungshofes. Dass die Regierung dessen Bedenken nicht berücksichtigt habe, zeuge von einer "rücksichtslosen Vorgangsweise und Ignoranz zur Potenz."
Haberzettl, aber auch EU-Rechtsexperten warnen davor, dass es zwischen den vielen geplanten ÖBB-Gesellschaften zu einem Ausschreibungschaos kommen könnte. Denn es sei nach der Umstrukturierung nicht mehr möglich, die Aufträge wie bisher üblich innerhalb des Unternehmens zu vergeben. "Da muss dann ab gewissen Summen EU-weit ausgeschrieben werden," bestätigt ein Rechtsexperte gegenüber der "Wiener Zeitung".
Auch der Eisenbahnexperte Manfred Riessberger, Professor an der TU Graz, warnt vor überstürzten Reformen und verweist auf negative Beispiele im Ausland: "Das Chaos in den Niederlanden beginnt schon, und auch die Schweden haben schlechte Erfahrungen gemacht." Ob die Strukturreform in der geplanten Weise durchgeht, hängt nicht zuletzt vom Sanktus der EU ab. Denn diese muss die neue Organisation auch noch gutheißen. "Wir befürworten eine Holdingkonstruktion eigentlich nicht, weil sie große Probleme schafft. In Deutschland wird diese Lösung schon angefochten und womöglich zerlegt. Denn die Funktionen müssen unabhängig voneinander sein," heißt es aus der EU-Generaldirektion Energie und Transport gegenüber der "Wiener Zeitung". Wichtiger wäre es, vor der Reform das erste EU-Eisenbahnpaket umzusetzen. Dieses habe Vorrang, mahnen EU-Experten. Österreich muss sich demnächst in dieser Angelegenheit vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten und womöglich Pönale zahlen.