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"Obergrenzen sind nicht zulässig"

Von Simon Rosner und Jan Michael Marchart

Politik
Menschenrechtsexperte Manfred Nowak sieht keine völkerrechtliche Chance für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
© Elke Mayr/Wirtschafsblatt

Übernahmen von Flüchtlingen für Menschenrechtsexperten Manfred Nowak mögliche Lösung.


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Wien. Der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) fordert sie seit Wochen. Nun folgte ihm auch Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) nach. Es geht um die sogenannte Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Diese werde es laut Mikl-Leitner "faktisch" geben, wie sie sagte, denn weder das System noch die Bevölkerung dürften überfordert werden. Wo diese Grenze liegt, verriet Mikl-Leitner nicht. Heuer rechnet die Innenministerin mit 95.000 Asylwerbern, jährlich rund 100.000 könne es in den kommenden Jahren nicht geben. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) lehnt eine Obergrenze restriktiv ab, er verwies erneut darauf, dass es Maßnahmen vor Ort in Syrien brauche. "Dann werden es weniger."

Aus völkerrechtlicher Sicht ist die Diskussion über Obergrenzen ohnehin eher unsinnig. "Obergrenzen sind nicht zulässig", sagt Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte der Universität Wien und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter über Folter. "Wer auch immer in Österreich um Asyl ansucht, muss durch ein individuelles Verfahren gehen. Und wenn das 100.000 sind, dann sind es eben 100.000. Erfüllt er oder sie die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention, dann muss ihm oder ihr Asyl gewährt werden."

Kontingent als neuer Versuch

Würde Österreich oder ein anderes Land, das die Konvention unterschrieben hat, nach Erreichen irgendeiner Obergrenze keinen Flüchtling mehr zum Asylverfahren zu lassen, würde dieser Staat eine Völkerrechtsverletzung begehen. "Das hätte zwar keine sofortigen Sanktionen, aber ein Rechtsstaat wie Österreich kann sich das einfach nicht erlauben", sagt Experte Nowak.

In der deutschen Regierung spricht man wegen Uneinigkeit mittlerweile ohnehin nicht mehr von einer Obergrenze. Der neue Versuch heißt Kontingent, was einer nationalen Begrenzung schon recht nahe kommt. Zumindest vorübergehend, da mit diesem Begriff auch die Idee einer EU-weiten Aufteilung mitschwingt. Prompt sitzen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die SPD, die beide Obergrenzen entschieden abgelehnt haben, im selben Boot mit der CSU. Die Obergrenze so die Regierung, sei eine nationale Lösung, das andere, eine europäische Maßnahme, heißt aus von der deutschen Regierung.

"Das eigentliche Instrument heißt Resettlement", erklärt Nowak. Die EU würde mit der Türkei, wo sich derzeit rund 2,2 Millionen Syrer aufhalten, die Übernahme einer bestimmten Anzahl von Flüchtlingen vereinbaren. Das Asylrecht in den einzelnen Staaten bleibt davon unberührt. Die Hoffnung ist, dass bei einer solchen Lösung der Großteil der Flüchtlinge den Weg der Übernahme und nicht der illegalen Einreise über das Mittelmeer wählt. De facto würde dies zumindest vorübergehend die Aufnahme von Flüchtlingen pro Land begrenzen, es schafft Zeit und auch Kontrolle. Sobald die Kontingente ausgeschöpft sind, kann dann
neu verhandelt und auch eine neue Aufteilung diskutiert werden.

Eine weitere Option wäre die Aktivierung einer EU-Richtline aus dem Jahr 2001 über den temporären Schutz im Fall eines Massenzustroms von Vertriebenen, ohne dass diese ein personalisiertes Asylverfahren durchlaufen müssen. Vorbild für diese Richtlinie war Österreich in Zeiten des Bosnien-Krieges, als bis zu 90.000 Menschen ohne Asylverfahren aufgenommen wurden. "Das wäre für die EU auch möglich, ob es politisch durchsetzbar ist, ist eine andere Frage", sagt Nowak.

So oder so hätten vor allem Deutschland, Österreich und Schweden, die hauptbelasteten Länder, mehr Kontrolle über die Migration. Allerdings würde dieses Vorgehen jenen EU-Staaten Kontrolle nehmen, die bisher kaum Flüchtlinge aufnehmen wollen und auch kaum müssen, da die Fluchtbewegung an diesen Ländern vorbei zieht. Wie Polen oder Ungarn. Schon die Quotenregelung für Asylwerber war nur mit einem Mehrheitsbeschluss gegen den Willen einiger EU-Mitglieder getroffen worden, und sie funktioniert bis heute kaum.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner will die Debatte über Kontingente jedenfalls führen. Man komme um diese Diskussion nicht umhin, sagt er. Und er stellte auch fest: "Dass man Schutz nicht nach Zahlen definieren kann, ist mir klar."