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Medizinethiker: Patienten haben Recht auf irrationale Entscheidungen. | Wien. "Das oberste Prinzip ärztlichen Handelns ist der Wille des Patienten", erklärt der Grazer Theologe Johann Platzer gegenüber der "Wiener Zeitung". Insofern sei er mit dem Karlsruher Urteil sehr zufrieden, da der mutmaßliche Wille der Patientin bekannt gewesen sei und es sich auch nicht um aktive Sterbehilfe gehandelt habe.
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Der Wille des Patienten sei auch dann Verpflichtung für den Arzt, wenn Patienten irrationale Entscheidungen treffen. "Wenn zum Beispiel Zeugen Jehovas eine lebensrettende Bluttransfusion ablehnen, muss der Arzt diesem Willen gerecht werden, auch wenn damit das Leben gefährdet wird", sagt Platzer. Der Zeuge Jehovas habe ethisch und gesetzlich das Recht, diese Behandlung abzulehnen. "Jeder Patient hat das Recht auf irrationale Entscheidungen." Jeder Mensch dürfe jede Behandlung ablehnen, auch wenn er länger leben könnte.
Der Arzt darf laut Strafgesetzbuch (§ 110) in zwei Fällen nicht behandeln: Wenn es gegen den Willen oder mutmaßlichen Willen des Patienten ist. Und wenn eine Behandlung medizinisch nicht indiziert ist. Das bedeutet, dass auch nicht behandelt werden darf, wenn damit eine Belastung des Patienten verbunden wäre, die den aus der Behandlung zu erwartenden Vorteil überwiegt. In diesem Fall sei es sinnvoller, sich auf eine Schmerzbehandlung zu konzentrieren und damit indirekt eine Lebensverkürzung zuzulassen.
Zu wenig Medizinethik in der Ausbildung
Leider wüssten Ärzte oft nicht um diese rechtlichen und ethischen Gegebenheiten. So sei an der Medizinuniversität Graz Medizinethik nur zwei Wochenstunden Pflicht. In dieser Zeit müsse von der Patientenverfügung bis hin zu gesetzlichen Aspekten und ethischen Grundsätzen alles untergebracht werden. Das sei viel zu kurz. Platzer, der selbst Medizinethik unterrichtet, sieht aber, dass der Kenntnisstand bei jüngeren Ärzten besser ausgeprägt ist.
Selbstverständlich sei die Versuchung der Mediziner groß, möglichst alle Leben retten zu wollen. Ärzte stünden vor zwei ethischen Prinzipien: der Autonomie des Patienten und der Fürsorgepflicht des Arztes. Ärztliches Handeln bewege sich entlang mehrerer Ebenen: Gesetz, Ethik, eigenes Gewissen und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Platzer hat zu diesem Themenkomplex ein Buch geschrieben, das heute, Mittwoch, an der Karl Franzens Universität Graz präsentiert wird: "Autonomie und Lebensende. Reichweite und Grenzen von Patientenverfügungen", Verlag Königshausen und Neumann.