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In Polen war die katholische Kirche eine wichtige oppositionelle Kraft. | Ihren politischen Einfluss aufzugeben, fällt ihr teils bis heute schwer.
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Ausgerechnet die Linken, die Nachfolger der sozialistischen Polnischen Arbeiterpartei. Ausgerechnet die, deren Vorgänger sich - theoretisch - zwischen Partei- und Religionszugehörigkeit entscheiden mussten, wollen jetzt Weihnachten in den Festtagskalender aufnehmen. In Polen plädiert das oppositionelle Bündnis der Linksdemokraten dafür, den 24. Dezember zu einem arbeitsfreien Tag zu machen. Am 6. Jänner hingegen, am Fest der heiligen drei Könige, soll weiter gearbeitet werden.
Die regierende Bürgerplattform und die rechtskonservative Fraktion Recht und Gerechtigkeit sehen das genau umgekehrt. Sie haben im Parlament dafür gestimmt, ab dem kommenden Jahr am 6. Jänner die Arbeit ruhen zu lassen.
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Diese beiden Parteien haben ihre Wurzeln in der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, die wiederum eng mit der katholischen Kirche verwoben war. Mehr als in den meisten anderen sozialistischen Ländern fungierte die Kirche in Polen vor 1989 als Opposition gegen den atheistischen Arbeiterstaat, der nicht Weihnachten und Ostern gefeiert haben wollte, sondern Produktivität, Fortschritt und die Überlegenheit gegenüber dem verderbten kapitalistischen Westen.
Doch die meisten Menschen ließen sich ihre Bräuche nicht nehmen. Sie teilten am Weihnachtstisch die Oblaten, dünne, mit Bildern der heiligen Familie bedruckte Blättchen, und wünschten einander, was sie gerade zu wünschen hatten. Sie ließen zu Ostern Brot, Fleisch, Salz und Eier weihen. Die Kirchen waren so gut wie jeden Sonntag voll; religiöse Gesänge wurden zu Hymnen auf die ersehnte Befreiung des Landes umfunktioniert. So mancher Priester war am Druck und an der Verteilung von politischen Flugzetteln beteiligt, die nur im Untergrund entstehen und lediglich heimlich weitergegeben werden durften.
Der Beitrag der Kirche zu den politischen Umwälzungen in Polen war so immens, dass es ihr teils bis heute schwerfällt, ihren Einfluss aufzugeben. Das Konzept der Trennung zwischen Kirche und Staat, ein Prinzip vieler Demokratien, liegt nicht allen Geistlichen. So gibt es noch immer Versuche, kirchliche Ideologien in die Politik einzubringen. Das zeigt sich etwa beim strengen Abtreibungsgesetz oder Aufrufen vor Wahlen, für jene Partei zu stimmen, die katholische Werte am lautesten bewirbt.
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Die meisten Polen aber mussten sich mit dem Wandel rasch arrangieren, und der hatte ihnen nun einmal auch den Kapitalismus zurückgebracht. Und schon bald war das besinnliche Weihnachtsfest wie in etlichen anderen Ländern untrennbar mit Kaufen und Konsumieren verbunden. Mehr als 22 Milliarden Zloty (rund 5,5 Milliarden Euro) wollten die Polen nach Angaben des Forschungsinstituts TNS OBOP heuer für ihre Weihnachtseinkäufe ausgeben; der Handel freut sich über fast 20 Prozent mehr Umsatz als in der Vorjahressaison.
Dennoch haben etliche Kaufhäuser heuer beschlossen, am 24. Dezember ihre Türen nicht bis zum Abend offen zu lassen. Jahrelang haben Gewerkschaften - unter anderem Solidarnosc - appelliert, den Angestellten einen kürzeren Arbeitstag zu gönnen. Jahrelang blieben diese Forderungen ungehört. Es gehe ja um Arbeitsplätze, lautete das Gegenargument. Dieses Jahr aber wollen die meisten Handelsketten um 14 oder 16 Uhr schließen.
Später soll dann die stille Nacht folgen. Und am Tisch werden wieder Oblaten geteilt. Die werden mittlerweile nicht nur von Pfarren verteilt. Es gibt sie auch in Supermärkten zu kaufen.