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Obligatorisches Türkei-Referendum

Von Waldemar Hummer

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Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Die SPÖ-Spitze forderte in ihrem Brief an die "Kronen Zeitung" unter anderem die Abhaltung eines obligatorischen Referendums im Falle eines EU- Beitritts der Türkei.


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Eine brisante Forderung von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und dem SPÖ-Parteivorsitzenden Werner Faymann in deren Schreiben an den Herausgeber der "Kronen Zeitung" vom 25. Juni war jene nach einer verpflichtenden Volksabstimmung im Falle eines EU-Beitritts der Türkei. Dieser würde "die derzeitigen Strukturen der EU überfordern".

Damit stellen die SPÖ-Spitzenpolitiker auf das Kriterium der "Aufnahmefähigkeit" der EU ab, das bereits in den Kopenhagener Beitrittskriterien des Europäischen Rates vom Juni 1993 enthalten war. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sie dafür von Spitzenpolitikern der ÖVP massiv kritisiert wurden.

Denn vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sich die ÖVP darauf festgelegt, dass über den Beitritt der Türkei zur EG eine obligatorische Volksabstimmung abgeführt werden müsse. Die ÖVP sorgte auch dafür, dass Österreich am Europäischen Rat in Brüssel im Dezember 2004 in den Schlussfolgerungen des Vorsitzes die Formulierung durchsetzte, dass die Verhandlungen mit der Türkei grundsätzlich "ergebnisoffen" sind und von der "Aufnahmefähigkeit" der EU abhängen.

Dass man sich jetzt nicht mehr daran erinnert, dass man diese Formulierung vor wenigen Jahren noch als großen Erfolg der österreichischen Diplomatie gefeiert hatte, belegt einmal mehr die extrem kurze "Halbwertszeit" der österreichischen Integrationspolitik.

Mit ihrer Forderung eines obligatorischen Referendums im Falle des Beitritts der Türkei zur EU manövriert sich aber nicht nur die SPÖ, sondern (indirekt) auch Österreich in eine gefährliche Sackgasse. Man gibt damit nämlich bereits ex ante zu verstehen, dass man - parallel zur gegenwärtigen Stimmungslage in der Bevölkerung - grundsätzlich gegen einen Beitritt der Türkei eingestellt ist, ohne dabei die Beitrittsbemühungen der Türkei auch nur im Ansatz entsprechend zu berücksichtigen.

Sollte Österreich mit dieser seiner Ansicht im Anlassfall aber allein bleiben, würde der Druck der anderen 26 Mitgliedstaaten ebenso zunehmen, wie dies gegenwärtig bei Irland der Fall ist. Auch die negativen Konsequenzen in den bilateralen Beziehungen Österreich-Türkei wären unübersehbar.

Alleingang Österreichs?

Dass ein solches Szenario eines Alleinganges Österreichs durchaus realistisch ist, ergibt sich schon daraus, dass in Frankreich das dortige "Türkei-Referendum" gekippt werden könnte. Der frühere Präsident Jacques Chirac hatte 2005 die Einfügung einer "Referendum-Sperre" in die französische Verfassung veranlasst. Auf dieser Grundlage muss jedes mal ein Referendum abgehalten werden, wenn ein Staat der EU beitreten will, dessen Bevölkerung mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung der EU beträgt.

Im Vorfeld der EU-Präsidentschaft Frankreichs hat der jetzige Präsident Nicolas Sarkozy seine ursprüngliche Türkei-Skepsis modifiziert und den Anstoß für eine Verfassungsnovelle gegeben. In diesem Zusammenhang hatte sich die französische Nationalversammlung bereits Ende Mai 2008 für eine Novellierung der Verfassung ausgesprochen. Der Senat schloss sich dem an und votierte mit 297 gegen 7 Stimmen ebenfalls für eine Änderung der "Referendum-Sperre". Die endgültige Entscheidung darüber obliegt nunmehr dem Kongress, der mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit über die Verfassungsreform entscheiden muss. Sarkozy hat allerdings gleichzeitig betont, dass er aus politischen Gründen nach wie vor für eine Volksabstimmung im Falle des Türkei-Beitritts sein wird. Sollte er sich damit aber nicht durchsetzen, stünde Österreich unter Umständen alleine da - mit allen Konsequenzen.

europarecht@wienerzeitung.at