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Das Kindeswohl an oberster Stelle. | Richter stehen vor unlösbarem Problem. | Wien. Es ist eine der schärfsten Waffen im nachehelichen Krieg: die Verweigerung des Besuchsrechts durch den obsorgeberechtigten Elternteil.
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Wer nach der Scheidung die Obsorge über das gemeinsame Kind bekommt, hat faktisch die Möglichkeit, den Kontakt des Sprösslings zum anderen Elternteil zu unterbinden, selbst wenn es eine gerichtliche Besuchsregelung gibt.
Für die heimischen Richter stellt sich hier ein schier unlösbares Problem: Wie kann man die Durchsetzung einer Besuchsrechtsregelung erzwingen? Wie soll der Richter feststellen, ob das Kind am Besuchswochenende des Vaters wirklich krank war, oder ob der angebliche Husten des Sprösslings von der Mutter frei erfunden wurde, um den Kontakt zum Vater zu unterbinden? "Das Problem ist, dass man jemanden zu einem Tun bringen muss", erklärt Franz Mauthner, Familienrichter beim Bezirksgericht Floridsdorf, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Zwecklose Geldstrafen
Das Gesetz sieht zwar Beugestrafen in Form von Geld- oder Haftstrafen vor, wenn das Besuchsrecht durch den Obsorgeberechtigten vereitelt wird, doch die Richter sind sich weitgehend einig: Diese Maßnahmen zeigen nicht die erwünschte abschreckende Wirkung.
Könnte man allerdings nicht weiter gehen und dem Elternteil, der beharrlich das Besuchsrecht des ehemaligen Partners hintertreibt, die Obsorge entziehen?
Ein gänzlicher oder teilweise Obsorgeentzug ist zumindest rechtlich möglich - allerdings nur dann, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. "Die Besuchsrechtsverweigerung allein ist sicher kein Grund, die Obsorge zu entziehen", meint Mauthner.
Auch der Oberste Gerichtshof (OGH) erwägt einen Obsorgeentzug bei beharrlicher Besuchsrechtsverweigerung nur dann, wenn diese mit einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls verbunden ist. "Es müsste etwa eine schwere Vernachlässigung der Obsorge vorliegen", meint der OGH-Sprecher und Vizepräsident Ronald Rohrer.
Johann Weitzenböck, Familienrichter am Landesgericht St. Pölten, konkretisiert: Von einer Kindeswohlgefährdung könne man dann sprechen, wenn das Besuchsrecht des Elternteils verweigert wird, zu dem das Kind eine "besonders tiefgehende emotionale Bindung" hat. Allerdings müsste das schon bei der Entscheidung über die Obsorge mit berücksichtigt werden, so Weitzenböck.
Äußerste Notmaßnahme
Der OGH ist bei der Abänderungen der Obsorgeverhältnisse allerdings sehr vorsichtig und meint, dass diese "nur als äußerste Notmaßnahme angeordnet werden darf" (8 Ob 2282/96 p).
Tatsächlich kommt ein gänzlicher Obsorgeentzug aufgrund einer beharrlichen Besuchsrechtsverweigerung in der Praxis eher selten vor, wie mehrere Familienrechts-Experten gegenüber der "Wiener Zeitung" bestätigen. "Mir persönlich ist so ein Fall noch nicht unter gekommen", sagt Weitzenböck. Auch die Rechtsanwältin und Familienrechts-Expertin Helene Klaar meint zur "Wiener Zeitung", dass es sich meist nur um "eine heisere Drohung" handelt.
Die Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits kennt hingegen Entscheidungen, in denen die Obsorge zumindest teilweise entzogen wurde, weil das Besuchsrecht des Vaters durch die Mutter "massiv verweigert" wurde.
Solche Fälle sind auch Michael Reiter vom Justizministerium bekannt. "Es gibt Entscheidungen, die sagen, dass bei Zuwiderhandeln gegen das Recht auf persönlichen Verkehr des Kindes mit dem anderen Elternteil Eingriffe in die Obsorge zulässig sind", so Reiter. "Die Obsorge kann durch gerichtliche Aufträge an den Obsorgebetrauten wie etwa die Anordnung, Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen, eingeschränkt werden. Im Einzelfall kann Zuwiderhandeln unter Umständen als ultima ratio sogar bis zum Entzug der Obsorge führen."