250 Studien pro Jahr produziert. | Horror-Prognosen ärgern viele Politiker. | Die ominöse "schwarze Liste" der Steueroasen gibt es nicht mehr. Die OECD, die vier Staaten - Uruguay, Costa Rica, die Philippinen und Malaysia - an den Pranger gestellt hatte, weil sie die internationalen Standards zur Bekämpfung von Steuerbetrug nicht umsetzen wollten, machte am vorigen Dienstag einen Rückzieher. Die vier schwarzen Schafe haben sich nämlich bereit erklärt, ihre Gesetze binnen eines Jahres so zu modifizieren, dass künftig Informationen über verdächtige Konten oder Transaktionen nicht mehr tabu sind. Jetzt stehen sie gemeinsam mit 30 anderen Staaten auf der so genannten "grauen Liste".
Angel Gurria, Generalsekretär der in Paris ansässigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, spuckt seither große Töne: "Die Epoche des absoluten Bankgeheimnisses hat ausgedient". Seine Drohaktion, die er knapp vor dem G20-Gipfeltreffen in London gestartet gegen alle Arten von Steuerparadiesen gestartet hatte, die beispielsweise auch Österreich zum Einlenken bewog, hat innerhalb weniger Tage überraschend Erfolg gezeigt - in den vergangenen zehn Jahren hat die OECD hingegen herzlich wenig erreicht.
"Wenn wir es schaffen", sagt Gurria, "die Welt von Finanzzentren zu befreien, die vom Mangel an Transparenz, unkooperativem Verhalten und schwacher Regulierung leben, dann haben wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer fairen und sauberen Weltwirtschaft gesetzt."
Sein sendungsbewusster Idealismus brachte dem gebürtigen Mexikaner, der seit fast drei Jahren die mit 2500 Mitarbeitern ausgestattete monströse Institution leitet, allerdings ziemlich viel Kritik ein. Vor allem in den OECD-Mitgliedsländern Schweiz, Luxemburg und Österreich war die Empörung darüber groß, als Steueroase abgestempelt zu werden. Gurria, ehemals mexikanischer Außen- bzw. Finanzminister, musste zum Beispiel frustrierte Aussagen vom rot-weiß-roten Vizekanzler Josef Pröll und von Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker über sich ergehen lassen, die die Vorgangsweise der OECD für unfair und intransparent hielten.
Der 59jährige Generalsekretär, der fünf Sprachen fließend (und auch ein wenig Deutsch) spricht, ist indes längst daran gewöhnt, für viele ein rotes Tuch zu sein. Gurria steht mit seinem weltweit beachteten Topjob für eine internationale Organisation, die laufend für großes Aufsehen sorgt: Die berühmt-berüchtigte Pisa-Studie der OECD etwa stiftet in vielen Staaten ebenso oft für Verwirrung wie ihre etwas oberlehrerartig angelegten Länderberichte, die den jeweiligen Regierungen aufzeigen wollen, wo's langgeht. Auch österreichische Politiker wurden bislang vom wirtschaftspolitischen Tadel aus Paris nicht verschont. So etwa wurde unlängst die mit 41,7 Prozent vergleichsweise hohe Steuer- und Sozialabgabenquote mit herber Kritik bedacht.
OECD: Nur 18 Prozent der Weltbevölkerung
Die OECD, deren 30 Mitgliedsstaaten immerhin 59 Prozent der Weltwirtschaft, 75 Prozent des Welthandels und 18 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren befasst sich aber nicht bloß mit dem Bereich Wirtschaft & Finanzen - beispielsweise mit Themen wie Wachstum, Wettbewerb, Investitionen oder Steuern -, sondern eben auch mit gesellschaftlichen Problemen, wie etwa Beschäftigung, Bildung, Gesundheit oder Migration. Überdies fühlt sich die einigermaßen verbürokratisierte Mammutorganisation, die ihren Mitgliedern heuer Budgetmittel in Höhe von 303 Millionen Euro abverlangt, unter anderem für Korruptionsbekämpfung, Energie- und Umweltfragen, alles, was mit Innovation zu tun hat, oder Entwicklungszusammenarbeit zuständig.
In ihren Datenbanken, Factbooks und den jährlich rund 250 Studien finden sich geradezu unermessliche statistische Schätze: Als eine Art Mischung aus Statistischem Zentralbüro, Fabrik für Untersuchungen aller Art und weltweit aktiver Consulting-Agentur für Regierungen untersucht sie unermüdlich so unterschiedliche Dinge wie Zahlungsbilanzen, Lohngefälle, Eheschließungen, Todesursachen, Gesundheitskosten oder regionale Wirtschaftsleistung. Die OECD, deren hehre Ziele primär die Förderung nachhaltigen Wirtschaftswachstums und die Dynamik im Welthandel sind, tut sich derzeit jedoch angesichts der brutalen Wirtschaftskrise so schwer wie noch nie.
"Das tötet die Idee desinternationalen Handels"
Doch gerade jetzt sieht es der OECD-Chef als seine oberste Aufgabe, bessere Rahmenbedingungen für die Weltwirtschaft zu formulieren und zugleich den Politikern gute Ratschläge zur Krisenbekämpfung zu geben. Er sagte etwa Ja zu den milliardenschweren Konjunkturpaketen und forderte zugleich Strukturreformen, die langfristiges Wachstum bringen. Staatliche Hilfe für Banken? Ja. Unterstützungen außerhalb des Finanzsektors? Nein. Protektionismus? Um Himmels willen, nein. Gurria: "Wenn ein Land seine Bürger auffordert, nur noch einheimische Produkte zu kaufen, werden das bald alle Länder tun. Das tötet die gesamte Idee des internationalen Handels."
Überdies fordert Gurrias OECD unermüdlich "mehr Transparenz auf den Finanzmärkten", einen "Kulturwandel in der Bankenwelt" oder "mehr Fairness bei Steuer-Systemen von Industrie- und Entwicklungs-ländern". Allerdings: Sie kann lediglich Inputs liefern bzw. diverse Standards ausarbeiten, die sodann von den Regierungen umgesetzt werden - oder aber nicht.
Der Pariser Braintrust, der speziell in den Bereichen Steuerpolitik, Wettbewerb, grenzüberschreitende Investments, Corporate Governance oder beim Kampf gegen Korruption eine führende Rolle spielen möchte, verbreitet in jüngster Zeit beträchtlichen Pessimismus: Ende März wartete die OECD mit der Prognose auf, dass die Weltwirtschaft heuer um 2,75 Prozent schrumpfen werde. Besonders in Japan (- 6,6 Prozent), China (- 6,3 Prozent) und Russland (- 5,6 Prozent) werde sich das Bruttonationalprodukt deutlich verringern. Die Organisation zeichnet damit ein weitaus düsteres Bild als etwa der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank, die noch auf optimistischere Schätzungen setzen.
Wissen: Die OECD
Für ihre 30 Mitgliedsstaaten sieht die OECD ebenfalls ziemlich schwarz: Angesichts der "tiefsten und breiteste Rezession seit mehr als 50 Jahren" stünde den industrialisierten Staaten im laufenden Jahr ein Wachstumsrückgang von 4,3 Prozent bevor, verlautete aus Paris. Die Eurozone werde alles in allem ein Minus von 4,1 Prozent zu verkraften haben, wobei es Deutschland (- 5,3 Prozent) und Italien (- 4,3 Prozent) am schlimmsten treffen werde. Die Arbeitslosigkeit werde hingegen kräftig steigen und 2010 mit zweistelligen Werten ihren Höhepunkt erreichen.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi konterte, dass die OECD "ein Klima der Angst" fördere und legte ihr nahe, "lieber den Mund zu halten". Auf die einschlägigen Ökonomie-Propheten ist er nicht gut zu sprechen: "Zuerst haben sie die Krise nicht kommen sehen und jetzt machen sie jeden Tage neue Voraussagen."
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurde 1961gegründet (die Vorläuferinstitution OEEC - Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit existierte bereits seit April 1948). Ihr Hauptsitz ist in Paris, weitere Büros befinden sich in Berlin, Washington, Mexiko und Tokio. Der momentane Generalsekretär Angel Gurria verfügt über 2500 Mitarbeiter. Das für 2009 veranschlagte Budget beläuft sich auf 303 Millionen Euro, ein Betrag, der sich aus den Zahlungen von den Mitgliedsländern, je nach ihrer Wirtschaftskraft, zusammensetzt. Die USA sind mit fast 25 Prozent der größte Zahler, Österreich trägt 1,147 Prozent bei.
Ungefähr 250 Publikationen werden pro Jahr für die 30 Mitglieder produziert. 20 Länder sind seit der Gründung dabei: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Schweiz, Türkei, USA, Großbritannien.
10 Länder sind später beigetreten: Japan, Finnland, Australien, Neuseeland, Mexiko, Tschechien, Südkorea, Ungarn und Polen, und die Slowakei.
Im Mai 2007 wurden Chile, Estland, Israel, Russland und Slowenien zu Beitrittgesprächen eingeladen. Gespräche laufen auch mit den großen Schwellenländern Brasilien, China, Indien, Indonesien und Südafrika.
Daneben existieren zahlreiche Kooperationen mit rund 70 Nicht-Mitgliedsstaaten.
Die OECD verfügt über eine hierarchische Struktur. Das oberste Entscheidungsgremium, der Rat, setzt sich aus je einem Vertreter der Mitgliedsländer und der Europäischen Kommission zusammen. Der Generalsekretär führt den Vorsitz im Rat, leitet das Sekretariat und hat vier Stellvertreter. Das Sekretariat setzt die Beschlüsse des Rates um, unterstützt die Ausschüsse und Arbeitsgruppen und erarbeitet Vorschläge für Aktivitäten.
200 Ausschüsse und Arbeitsgruppen leisten die Facharbeit. Rund 40.000 Vertreter aus nationalen Verwaltungen nehmen an den Arbeitstreffen teil.