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Ausmaß der Veränderungen wird langsam bewusst. | Mitgliedstaaten und Parlament üben neue Kooperation. | Brüssel. Der Weg zum Lissabonner Vertrag war beschwerlich. Erst war das Papier an Referenden in den Niederlanden und in Frankreich abgeprallt, dann von den Iren abgelehnt worden. Nur mit großem politischem Geschick war es schließlich gelungen, die neue EU-Rechtsgrundlage nach gut acht Jahren harter Verhandlungen am 1. Dezember 2009 in Kraft zu setzen. Sie sollte die EU vor allem effizienter, demokratischer und transparenter machen. Ein Jahr danach gibt es aber vor allem eine Menge Baustellen.
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Das angekündigte EU-Volksbegehren gibt es noch länger nicht, für den Europäischen Auswärtigen Dienst fehlt das Geld und 18 neue EU-Parlamentarier dürfen die Parlamentsgebäude noch nicht einmal ohne Begleitung betreten (siehe unten). Und dass die Entscheidungen viel rascher gehen, weil die notwendige Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten in fast allen Bereichen gefallen ist, konnte ebenfalls noch nicht nachgewiesen werden.
Im Gegenteil: Das EU-Parlament, das seither fast überall mitbestimmen darf, hat sich als hartnäckiger und bisweilen unnachgiebiger Verhandlungspartner erwiesen. Das hatten die Verhandler der Staaten gleich im Februar deutlich gespürt, als die Abgeordneten das Abkommen zur Übermittlung von Banküberweisungsdaten zur Terrorbekämpfung mit den USA ("Swift") kippten. Als jüngste Machtdemonstration des EU-Parlaments gelten die gescheiterten Verhandlungen für einen EU-Haushalt 2011. Für ihre Zustimmung verlangen die Abgeordneten Garantien über die Art und Weise ihrer künftigen Einflussnahme auf die EU-Finanzen.
Was zum heiklen Thema der laut Lissabon nötigen Zustimmung des Parlaments zu internationalen Verträgen der EU hinzukommt, ist unter anderem die Mitbestimmung der Abgeordneten in den großen Bereichen Justiz- und Polizeizusammenarbeit sowie Landwirtschaft neu. "Sowohl die Befürworter als auch die Gegner haben die Auswirkungen des Lissabonner Vertrags unterschätzt", sagt SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried. Der "rasante Zuwachs an Befugnissen für das Parlament" führe zu einer "Verschiebung des interinstitutionellen Machtgefüges und einer unheimlichen Mehrarbeit".
Kritik an Abgeordneten
Manche Diplomaten haben freilich nicht nur Lob für ihre neuen Verhandlungspartner. Das Einzige, was die Abgeordneten eine, sei ihr Bedürfnis mitzureden, meinte einer. Die Expertise des Parlaments in den neuen Aufgabenbereichen - vor allem bei internationalen Verträgen - sei nicht mit dem Kompetenzgewinn mitgewachsen, monierte ein anderer.
Diese Kritik will Leichtfried nicht akzeptieren: "Das klingt für mich nach einem Versuch, als wichtiger zu gelten, als man ist", sagt er. "Für Ministerialbürokratien ist es eben neu, dass ein Parlament derart massiv mitredet und Widerstand leistet."
Ähnlich sieht das Othmar Karas, ÖVP-Europaabgeordneter und Vizepräsident der Europäischen Volkspartei: Die gestiegenen Kompetenzen des Parlaments seien ein Ausdruck einer stärkeren Einbindung der Bürger, erklärt er. "Mit Schuldzuweisungen und Mobbing lösen wir keine Probleme und schaffen kein neues Vertrauen", erklärte er. "Die Kleinkariertheit muss auch in den Mitgliedstaaten überwunden werden, sonst haben die die Zeichen der Zeit nicht erkannt."
Schwieriger ist es übrigens auch für Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso geworden. Er hat mit dem EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy ein Gegengewicht auf dem Brüsseler Parkett erhalten. Trotz spärlicher öffentlicher Auftritte kommt der Belgier als schlauer Strippenzieher daher und hat häufig die bessere Presse. Jetzt feilen Barrosos Strategen angeblich am Aufbau einer neuen PR-Maschinerie für ihren Chef. Lückenlose fotografische und filmische Dokumentation seines Wirkens durch kommissionseigene "Journalisten", mehr Redenschreiber und ein EU-Redaktionsteam für schnelle Interventionen in Online-Medien sollen das Bild wieder gerade rücken.