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Offene Wunde Ärzte-Arbeitszeit

Von Katharina Schmidt

Wirtschaft
Im Überstunden-Rad strampeln sich viele Ärzte ab - zulasten der Patienten. Foto: corbis

Höchstarbeitszeit wird in 70 Prozent der Spitäler überschritten. | OP-Fehlerquote steigt massiv an. | Wien. Erst im vergangenen Frühjahr stand eine Turnusärztin vor Gericht, weil sie einem Patienten ein falsches Medikament verabreicht hatte. Erst seit sechs Wochen im Dienst, war sie für 30 Patienten gleichzeitig verantwortlich, weil eine Kollegin erkrankt war.


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Darüber, dass die Lage der Spitalsärzte in Österreich nicht eben rosig ist, herrscht hierzulande ungewohnte Einigkeit. Vor allem im Bereich der Überstunden sehen Experten Probleme. So versucht Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien seit Monaten vergeblich, die nötigen Mittel für eine Studie zu Ärztearbeitszeiten aufzustellen. Denn Statistiken über die Zahl der Arbeitsstunden von Ärzten gibt es in Österreich bis dato nicht. "Wir sind ein kleines Land, wo die Transparenz nicht so groß ist", sagt er.

Oft müssten Überstunden geleistet werden, die gar nicht im Dienstplan verzeichnet werden, sagt der Obmann der angestellten Ärzte bei der Ärztekammer, Harald Mayer. "50 Prozent der Ärzte werden dazu angehalten, ihre Überstunden nicht zu dokumentieren."

"Gesetz in Ordnung"

Ähnliches ist aus dem Wiener AKH zu hören - freilich nur unter der Hand (siehe Artikel unten). Und genau dieses Schweigen der Ärzte ärgert Mayer. "Solange sich die Ärzte aus Angst um den Arbeitsplatz weigern, solche Praktiken offen zuzugeben, kann man auch nichts dagegen tun", sagt er.

Selbst im Wirtschaftsministerium, in dessen Ressort die Arbeitsinspektorate fallen, gibt man zu, dass beim Dienstplan oft geschummelt wird. "Der gesetzliche Rahmen ist vollkommen in Ordnung", sagt ein Sprecher - "wir können nicht mehr tun, als die Spitalsbetreiber (Länder und Gemeinden, Anm.) auf Missstände aufmerksam zu machen". Mayer bekrittelt, dass im Gesetz keine Sanktionen für Spitäler, die sich nicht daran halten (das sind laut Mayer 70 Prozent), vorgesehen sind.

"Man erwartet von uns, dass wir alles perfekt machen, aber wenn man mit einem Kollektiv arbeitet, das permanent zeitmäßig überfordert ist, kann man das nicht erwarten", sagt Fred Pressl, Leiter der Chirurgie am Landeskrankenhaus Steyr. Er hat von 2002 bis 2004 den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Qualität untersucht. Das Ergebnis überrascht kaum: Die Zahl der ungeplant durchgeführten Zweitoperationen "erhöht sich zwischen 13 und 24 Stunden Dienstzeit um ein Drittel, nach 24 Stunden um zwei Drittel."

"Permanent überfordert"

Für die Qualitätssicherung im Gesundheitsbereich ist das Gesundheitsministerium zuständig. Dort heißt es jedoch: "Es gibt von unserer Seite keine Qualitätskriterien für die Arbeitszeit." Das Arbeitszeitgesetz sei im Wirtschaftsressort angesiedelt, für die Einhaltung müsse der Dienstgeber sorgen.

Bei der niederösterreichischen Landeskliniken-Holding will man nichts von solchen Problemen wissen. In den 24 Kliniken kämen Überschreitungen der Höchstarbeitszeit "nur in absoluten Einzelfällen" vor.

Das will SPÖ-Gesundheitssprecherin Sabine Oberhauser nicht glauben: Im Krankenhaus St. Pölten sei eine Wochenarbeitszeit von mehr als 100 Stunden üblich. Oberhauser fordert ein höheres Grundgehalt für Ärzte - "der Druck auf die Tätigen wird damit schwächer".

Von "inferiorer Bezahlung" spricht auch Pressl: "Der Stundenlohn für einen ausgebildeten Turnusarzt liegt bei zehn Euro - dafür geht mit Sicherheit keine Putzfrau arbeiten. . ."

+++ Wissen: Rechtslage für Ärzte

Seit 1997 ist das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz in Kraft. Demnach darf die Tagesarbeitszeit im Spital 13 Stunden nicht überschreiten - allerdings "soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird". So kann etwa für Journaldienste eine Betriebsvereinbarung des jeweiligen Spitals gelten.

Die Wochenarbeitszeit darf innerhalb eines 17-wöchigen Durchrechnungszeitraums 48 Stunden im Schnitt und 60 Stunden in einzelnen Wochen nicht überschreiten. Überstundenarbeit liegt dann vor, "wenn die Tagesarbeitszeit 8 Stunden bzw. bei einer anderen Verteilung der Arbeitszeit . . . 9 Stunden oder die Wochenarbeitszeit 40 Stunden übersteigt. . ."

All diese Regelungen (mit Ausnahme des Überstunden-Paragrafen) finden in "außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Fällen" keine Anwendung, wenn die "Betreuung von Patienten nicht unterbrochen werden kann oder eine sofortige Betreuung von Patienten unbedingt erforderlich wird". Dieser Punkt wirkt sich vor allem auf die Überstunden von Intensivmedizinern aus.

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