Die Grünen schwanken bei der ÖVP-Affäre zwischen Strategie und Emotion.
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Es waren ungewohnt deutliche Worte. Besonders für einen, der bislang dafür bekannt war, die grünen Wogen zu glätten, um den Fortbestand der Regierung zu sichern. "Damit ist eine neue Dimension erreicht", ließ Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler am Donnerstag zu den Hausdurchsuchungen bei der ÖVP und den neuen Vorwürfen gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wissen. In der Anordnung zu den Razzien werde "mutmaßlich korruptes Verhalten" des engsten Kanzler-Umfelds dokumentiert. "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund in Frage gestellt."
Die neue Kogler’sche Deutlichkeit hat auch manche in der eigenen Partei überrascht. "So einen Vorstoß hätte ich nicht erwartet", sagt ein grüner Nationalratsabgeordneter zur "Wiener Zeitung", der in einem Gespräch zwei Stunden zuvor noch von einem "deutlich konservativeren" Vorgehen der Parteispitze ausgegangen war - Motto: Die rote Linie der Grünen ist bei einer Anklage des Kanzlers erreicht.
Die Lage sei dynamisch, hieß es am Donnerstag aus der Partei. Interne Gespräche waren dicht angesetzt, selbst sonst sehr gesprächige Grüne hielten sich nach außen ungewohnt zurück. Die Dramatik der Situation zeigte sich auch außerhalb der politischen Zentren. So sagte der grüne Sozialsprecher Markus Koza am Donnerstag kurzfristig seine Teilnahme an einer Podiumsdiskussion ab - am Freitagvormittag hätte er bei der Denkwerkstatt St. Lambrecht mit Sozialvertretern anderer Parteien debattieren sollen. Begründung für die Absage: die aktuelle Situation in der Koalition.
Als es um die Ermittlungen gegen Kurz wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss ging, war die grüne Parteispitze noch im Beschwichtigungsmodus und darum bemüht, sich nicht festzulegen, wie man im Falle einer Anklage des Kanzlers weiter vorgehen würde.
Mit den neuen Vorwürfen gegen Kurz wurde die Abgrenzung Koglers aber schärfer. Kaum überraschend, denn während sich die Vorwürfe der Falschaussage vergleichsweise deutlich kleiner ausnehmen, wird gegen den Kanzler nun wegen Korruptionsdelikten ermittelt. Der maximale Strafrahmen liegt bei zehn Jahren Haft. Kurz bestreitet die Vorwürfe.
Türkis-grünes Pokerspiel
Trotz der Schärfe, so war aus der grünen Partei zu hören, ist die Ansage Koglers als Teil eines "ergebnisoffenen" Prozesses zu werten. Die deutliche Formulierung des Statements sollte einerseits der eigenen Basis und Wählerklientel signalisieren: Wir stellen uns gegenüber der ÖVP auf die Hinterfüße. Das schien angesichts der immer lauteren auch internen Kritik an der grünen "Elastizität" im Umgang mit dem Koalitionspartner aus Sicht der Parteispitze wohl unausweichlich.
Andererseits erhöht die Aussage den Druck auf die ÖVP. Denn bei den Grünen zirkulierte schon seit den Falschaussage-Ermittlungen ein Lieblingsszenario, das am Donnerstag für die Ökopartei zumindest kurzfristig Auftrieb erhielt: Wäre die Volkspartei bereit, Kanzler Kurz und Finanzminister Gernot Blümel, gegen den ebenfalls strafrechtlich ermittelt wird, gegen andere Personen auszutauschen, könnte Türkis-Grün weiterregieren. Im Wesentlichen sogar mit der aktuellen türkisen Ministerriege. Die grünen Kernprojekte aus dem Regierungsprogramm könnten damit umgesetzt werden, so der Gedanke.
Selbst aus den ÖVP-Bundesländern und -Gemeinden war hinter vorgehaltener Hand immer wieder der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer als Kanzleralternative zu Kurz ins Spiel gebracht worden. Allerdings: Am Donnerstagnachmittag erteilte die ÖVP dieser Idee zumindest vorerst eine Absage: Die türkisen Regierungsmitglieder stellten in einer gemeinsamen Erklärung klar, dass sie nur mit Kurz in der Bundesregierung bleiben werden. "Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben", hieß es in der Erklärung. Auch die ÖVP-Teilorganisationen und die ÖVP-Landesparteiobleute hatten sich zuvor schon hinter Kurz gestellt.
Minister wie Länder reagierten damit auf Aussagen von grüner Seite, etwa der Kärntner Landessprecherin Olga Voglauer, wonach eine Fortsetzung der Koalition zwar mit der ÖVP, aber nicht mit Kurz vorstellbar sei. Dieses Wunschszenario der Grünen scheint damit zwar vom Tisch. Das Rumoren in Richtung Kurz in manchen türkisen Ländern und von einigen Bürgermeistern der Volkspartei dürfte allerdings tatsächlich größer sein, als die offiziellen Aussendungen vermuten lassen. Und bei der Dimension der aktuellen politischen Krise sind wohl nur die wenigsten Aussagen als in Stein gemeißelt zu betrachten. Auch die akkordierten Aussendungen und öffentlichen Statements dürften noch längere Zeit Teil des koalitionären Pokerspiels zwischen Türkis und Grün bleiben.
Viel zu verlieren für die Grünen
Sowohl Kogler als auch Kurz absolvierten am Donnerstag ihre Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Die angekündigten Gespräche Koglers mit den Klubobleuten der Parlamentsparteien seien in Planung, hieß es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" aus seinem Büro. Das erste Treffen soll am Freitag stattfinden.
Für die Grünen jedenfalls steht viel auf dem Spiel. Im Falle einer Neuwahl könnten sie wohl nur verlieren. Vor allem aber: Bei einem baldigen Koalitionsende würden sie politisch mit fast leeren Händen dastehen. Das "Klimaticket" als grünes Prestigeprojekt ist zwar in trockenen Tüchern, der Vorverkauf bereits gestartet. Aber: "Viele der gemeinsamen Gesetzesvorhaben sind schwammig, weil noch nicht fertig", wie es ein Grüner ausdrückt. Dazu zählt auch das gemeinsame Hauptprojekt "ökosoziale" Steuerreform, das zwar gerade vorgestellt, aber noch nicht als Gesetz beschlossen wurde. Das grüne Herzstück Klimaschutzgesetz ist überhaupt noch in der Ausarbeitungsphase. "Es gibt noch keinen mit der ÖVP abgestimmten Begutachtungsentwurf", sagt ein grüner Abgeordneter. "Aber die Klimakrise muss gelöst werden."
Die Grünen stecken nicht zuletzt in einem Dilemma zwischen politischer Strategie zur Umsetzung ihrer Vorhaben und stärker aufbrechenden Emotionen an der Basis. Wo Emotionen hochgehen, stehen die längerfristigen Auswirkungen eines Aufbruchs der Koalition nicht immer im Fokus.