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Öffentlichkeit für Neonazis?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Es gibt leichtere Fragen zu beantworten als diejenige nach dem richtigen Umgang mit bekennenden Rechtsradikalen und Nationalsozialisten, egal ob neuer oder alter Prägung. Soll man diesen vor der Öffentlichkeit das Wort erteilen? Oder das Verfahren hinter verschlossenen Türen führen, auf dass keine Plattform für menschenverachtende Parolen geschaffen wird?

Es geht also im Kern um die Frage: Wie viel Öffentlichkeit ist in der direkten Auseinandersetzung mit Rechtsextremen zumutbar? Ein Konsens darüber ist nicht in Sicht. Das Thema wird auch die deutsche Justiz bei der Aufarbeitung der Neonazi-Morde beschäftigen.

Im Fall des Anders Behring Breivik, der im Juli 77 Menschen kaltblütig ermordete, versuchte die norwegische Justiz zuerst, dem Täter jegliche Möglichkeit zur öffentlichen Stellungnahme zu entziehen. Erst der Oberste Gerichtshof verfügte, dass die Verhandlung über den Verbleib Breiviks in Isolationshaft öffentlich geführt werden muss. Entsprechend waren krude Selbststilisierungsversuche des Attentäters der Art "Ich bin Kommandeur im norwegischen Widerstand" nicht zu verhindern. Die im Gerichtssaal anwesenden überlebenden Opfer mussten es erdulden.

Wäre es besser gewesen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln? Vielleicht, die Öffentlichkeit hätte der Täter aber auf jeden Fall mit seiner Version der Geschichte erreicht. Das beweisen die von den Medien veröffentlichten, eigentlich streng vertraulichen Vernehmungsprotokolle, die vermutlich von den Anwälten Breiviks weitergegeben wurden. Welches Medium könnte ein solches Angebot ablehnen? Die Plattform ist dem Täter also so oder so gewiss. Ein unbändiger Voyeurismus liegt in der Natur des Menschen.

Für die gegensätzliche Strategie einer radikalen Öffentlichkeit hat sich Israel 1961 beim Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann entschieden. Dieses Vorgehen war damals heftig umstritten, doch es führte dazu, dass einer breiten Öffentlichkeit die Verbrechen des Nationalsozialismus vor Augen geführt wurden. Seit kurzem kann sich jeder, der dies will, den gesamten Prozess via Youtube im Internet anschauen. 200 unglaubliche Stunden lang.

Auch im Grauen kann Aufklärung wurzeln. Wer glaubt, dies seinen Bürgern nicht zumuten zu können, misstraut ihnen. Fundamental.