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"Öffis nur für Geimpfte wäre ein Problem"

Von Petra Tempfer

Politik

Juristen halten den Plan, etwa die Nachtgastronomie nur noch Geimpften zugänglich zu machen, für gesetzlich möglich. Bioethikerin Druml spricht sich indes für den Zugang auch für Genesene, also die 2G-Regel, aus.


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Alles steht und fällt mit der Einschätzung der Fachleute. Kann man medizinisch überzeugend begründen, dass eine 1G-Regel - dass etwa die Nachtgastronomie nur noch Geimpften zugänglich ist - der kollektiven Gesundheit dient, wäre die 1G-Regel rechtlich möglich, sagt der auf Medizinrecht spezialisierte Verfassungsrechtler Karl Stöger von der Universität Wien. Es brauche lediglich eine Verordnung dafür. Einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof würde sie dann auch standhalten, meint er. Eine 1G-Regel für Öffis oder den Supermarkt wäre indes ein Problem. "Das Covid-19-Maßnahmengesetz sieht zwar vor, dass man Geimpfte besserstellen kann", sagt Stöger zur "Wiener Zeitung", "die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens muss aber jeder abdecken können, auch ein Ungeimpfter."

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hatten ja vor Kurzem mitgeteilt, dass sie die Einführung der 1G-Regel im Herbst in Bereichen mit besonders hohem Ansteckungsrisiko wie der Nachtgastronomie für vorstellbar und möglicherweise notwendig halten, sollten die Infektionszahlen weiter steigen. Das Betreten von Diskotheken wäre dann nur noch vollständig Immunisierten gestattet. Ähnliches hatte zuvor die SPÖ gefordert, und auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), derzeit Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, zeigte sich dafür offen. Hinter vorgehaltener Hand soll außerdem darüber diskutiert werden, dass künftig die gesamte Gastronomie nur noch Geimpften offen stehen soll. Gastro-Obmann Mario Pulker der Wirtschaftskammer Österreich ist naturgemäß dagegen. Er würde vor die Verfassungsrichter ziehen, meinte er, falls eine 1G-Regel in der Tagesgastronomie käme.

"1G-Regel wäre kein Lockdown für Ungeimpfte"

"In der normalen Gastronomie eine 1G-Regel einzuführen, würde einem Lockdown gleichkommen", sagte Pulker. Selbst mit der 3G-Regel (Geimpft, genesen oder getestet) verzeichneten die Betriebe Umsatzrückgänge zwischen 15 bis 45 Prozent. "Für Ungeimpfe wird es zunehmend schwieriger, einem faktischen Lockdown käme eine 1G-Regel aber auch für sie nicht gleich", kontert Stöger. Hier gebe es einen gewaltigen Unterschied. "Bei einem Lockdown muss ich zum Beispiel gegenüber der Polizei begründen, warum ich irgendwo bin. Bei der 1G-Regel geht es um spezielle Orte, die als besonders ansteckungsgefährlich gelten, und in die ich als Ungeimpfter nicht hinein darf." Von diesen speziellen Orten ausgenommen müssten jedoch stets all jene Geschäfte und Angebote sein, die Grundbedürfnisse betreffen und über die man etwa Lebensmittel beziehen oder sich öffentlich frei bewegen kann.

Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck hält eine 1G-Regel ebenfalls "prinzipiell für rechtlich möglich" - sofern die medizinische Expertise dafür spreche, sagt er zur "Wiener Zeitung". Sobald sich jene herauskristallisieren, die sich lieber infizieren lassen als impfen, gehe es zudem ums Geld: Warum weiterhin kostspielige PCR-Tests bereitstellen? Oder anders gesagt: "Mit einer 1G-Regel kann man die Menschen in die Richtung lenken, sich impfen zu lassen", ergänzt Stöger, "weil das für den Staat billiger ist, als sie jedes Mal zu testen".

Bleibt noch die Frage, warum Genesene ausgeschlossen werden sollen. Denn seit 15. August gelten zum Beispiel auch all jene, die nach einer Covid-19-Erkrankung genesen und nur einmal geimpft wurden, laut Grünem Pass als vollimmunisiert. Genesene, die ungeimpft sind, erhalten weiterhin ein EU-konformes Genesungszertifikat, das sechs Monate lang - frühestens vom 11. Tag nach der ersten molekularbiologisch bestätigten Infektion (mittels PCR-Test) eines Krankheitsfalles bis zu 180 Tage danach - gilt. Diese Frage, warum die Betroffenen durch die 1G-Regel nun ausgeklammert werden sollen, stellt sich auch Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.

Epidemiologische Gefahr ungeimpfter Getesteter relevant

"Man müsste sie hineinnehmen", sagt Druml. Was die ungeimpften PCR-Getesteten betrifft, ist auch sie skeptisch. Hier müsse der Gesetzgeber darauf achten, inwiefern diese epidemiologisch eine Gefahr darstellen, meint sie - nachdem sie sich noch im April dieses Jahres im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" dafür ausgesprochen hatte, dass es durch eine Ungleichbehandlung Geimpfter und Nicht-Geimpfter zu keiner Spaltung der Gesellschaft kommen dürfe. Was hat sich geändert? "Früher war die Impfung nicht für jeden zugänglich, das ist jetzt anders. Jetzt muss der Staat schauen, wie er mit jenen umgeht, die sich nicht impfen lassen wollen, obwohl sie könnten."

Dem Infektiologen Herwig Kollaritsch zufolge werde es jedenfalls ohne Eingreifen seitens der Politik zu keiner Verbesserung der aktuellen Corona-Situation kommen können. Getestete seien mehr Infektionstreiber als Geimpfte, sagte er im Ö1-"Morgenjournal" am Dienstag. Allein schon deshalb, weil sich Ungeimpfte häufiger infizieren könnten als Geimpfte. Gerade in Richtung Herbst sei mit einem erhöhten Infektionsdruck zu rechnen, weshalb er durch die Delta-Variante ein "sehr bedrohliches Szenario" orte. Daher sei es auch wichtig, dass sich Genesene möglichst rasch - ab vier Wochen nach der Infektion - impfen lassen, so Kollaritsch. "Wenn Genesene einmal geimpft werden, entwickeln sie einen exorbitant hohen Antikörperspiegel."

1,18 Prozent durch Impfung und Genesung vollimmunisiert

Aktuell haben laut Sozialministerium 5.445.858 Menschen (60,97 Prozent der Gesamtbevölkerung) mindestens eine Covid-19-Schutzimpfung erhalten. 105.523 Personen (das sind 1,18 Prozent der Gesamtbevölkerung) von diesen seien durch eine Impfung und Genesung als vollimmunisiert anzusehen und folglich auch im Grünen Pass als vollimmunisiert ausgewiesen, so das Sozialministerium auf Nachfrage. Insgesamt haben 5.130.185 Menschen (57,43 Prozent) einen vollständigen Impfschutz. Bis heute gab es der Ages zufolge 674.123 laborbestätigte Covid-19-Fälle, 647.579 sind wieder genesen.

In den vergangenen 24 Stunden sind am Dienstag fünf Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus gemeldet worden - das ist einer der stärksten Anstiege der vergangenen Wochen. In Summe sind bisher 10.768 Menschen in Österreich an oder mit Covid-19 gestorben. Stetig steigt auch die Anzahl all jener wieder an, die wegen Covid-19 in einem Krankenhaus behandelt werden: 398 Personen wurden am Dienstag gemeldet, ein Anstieg um fast 50 Prozent innerhalb einer Woche. 84 Menschen benötigten Versorgung in einer Intensivstation.

Die Anzahl der Neuinfektionen blieb mit 1.002 vierstellig, 866 waren es noch vor einer Woche. Die Sieben-Tages-Inzidenz, also alle Fälle innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohner, stieg auf 92,2 Fälle. Die Anzahl der aktiven Fälle auf 12.650 Personen - um 165 mehr als am Montag.