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Öffnung des Arbeitsmarkts: Zwist Österreich-EU droht

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Spidlas Bericht: Kein Ansturm von Zuwanderern nach Osterweiterung. | Kommission fordert freien Zuzug. | Nur noch vier Länder sperren sich. | Brüssel. Österreich, Deutschland, Dänemark und Belgien sind die letzten EU-Länder, die ihren Arbeitsmarkt noch nicht vollständig für die neuen Mitgliedsstaaten geöffnet haben. Für Rumänen und Bulgaren gibt es noch in 15 Ländern Hürden. Das gefällt der EU-Kommission nicht, handelt es sich doch um eine Einschränkung der EU-Grundrechte. Deshalb wird Sozialkommissar Vladimir Spidla vor allem den vier Nachzüglern heute, Dienstag, ins Gewissen reden.


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Laut seinem neuen Bericht über die Auswirkung der Erweiterung droht nämlich auch bei völliger Öffnung kein Ansturm von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedsstaaten. Und: Österreich hat trotz Beschränkungen bereits jetzt überdurchschnittlich viele ausländische Arbeitskräfte. Die Übergangsfristen seien also möglicherweise nicht der richtige Weg für die Regulierung.

Die Kommission erinnert daran, dass die Verlängerung der Arbeitsmarktsperren um weitere zwei Jahre nur möglich ist, wenn sonst eine "ernste Störung des Arbeitmarkts" oder die Gefahr einer solchen nachweisbar ist.

Damit ist ein Konfrontationskurs mit der Regierung in Wien vorprogrammiert. Denn Österreich sieht einige Faktoren für diese Gefahr: Schließlich liege das Land geographisch für Zuwanderer aus den neuen Staaten sehr günstig. Vergleiche mit Portugal, wo die Öffnung keinen Massenzulauf ausgelöst hatte, seien daher unzulässig.

Tagespendler aus umliegenden Ländern wie der Slowakei und Tschechien würden wie die überdurchschnittlich hohe Zahl an Saisonarbeitern nicht erfasst. Bis auf eine stufenweise Zulassung von qualifizierten Arbeitskräften bleiben die Hürden daher wohl aufrecht. Deutschland dürfte das ähnlich sehen.

Es habe bisher keine "ernsten Störungen des Arbeitsmarkts" gegeben und das sei auch nicht zu erwarten, heißt es dagegen im Berichtsentwurf, der der "Wiener Zeitung" vorliegt. Im Gegenteil sei bereits eine Rückwanderung der Arbeitskräfte in ihre Heimatländer zu erkennen.

Durch die Öffnung könnten sogar Schwarzarbeiter großflächig aus der Illegalität geholt werden. So wird geschätzt, dass sich 40 Prozent der 2004 in Großbritannien registrierten Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern bereits dort aufgehalten hatten. Rund die Hälfte der rund einen Million, die seit damals eingewandert sind, sei inzwischen wieder in der Heimat zurück.

Großbritannien hat neben Irland einen Löwenanteil der neuen Zuwanderer aufgenommen. Von den rund zwei Millionen Bürgern der 2004 beigetretenen Länder in den alten Mitgliedsstaaten lebt dort immer noch deutlich mehr als ein Viertel.

Besonders die Polen zieht es auf die Insel, wie eine britische Studie schön illustriert: Vor 2004 war polnisches Bier in Großbritannien praktisch nicht erhältlich. Heute wandern pro Jahr rund 44 Millionen Pints der in Polen beliebten Marken Lech und Tyskie über den Tresen.

Wissen

(wot) Personenfreizügigkeit ist ein im EG-Vertrag garantiertes Grundrecht. Jeder EU-Bürger darf frei in jedes Mitgliedsland reisen, dort eine Arbeitsstelle annehmen und mit seiner Familie wohnen. Dabei muss er vom Gastland bei Sozialleistungen und Besteuerung dem Inländer gleichgestellt werden. Maximal sieben Jahre dürfen die EU-Länder dieses Grundrecht für neue EU-Bürger beschränken. Für die 2004 beigetretenen Mitgliedsstaaten endet diese Übergangsfrist am 30. April 2011, für Bulgaren und Rumänen Ende 2013.