Am Samstag wird Fidel Castro 90 Jahre alt. Zwar floriert der Tourismus auf Kuba, viele Bürger bleiben aber bitterarm.
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Havanna. "Wir haben Fidel Castro viel zu verdanken. Mit seiner Revolution 1959 hat er uns Kubanern unsere Identität, unsere Unabhängigkeit, unsere Würde zurückgegeben." Alexis Leiva Machado erklärt, wie Kuba nach der Unabhängigkeit von Spanien 1898 zum Spielball der Großmächte wurde und unter Militär-Diktator Batista zum "Bordell der USA" verkam, bis Fidel Castro, Che Guevara und die anderen Revolutionshelden die Insel befreiten und zu einem "sozialistischen Bollwerk" machten.
Leiva Machado, alias Kcho, gehört zu den bekanntesten Künstlern Kubas. Bis Oktober sind seine neusten Werke in einer großen Einzelausstellung in Shanghai zu sehen. Unter den Arbeiten befindet sich auch die Installation "Ich möchte nicht, dass Du mir etwas mitbringst". Es handelt sich um 14 übereinandergestapelte Koffer. An der Spitze hängt eine US-Flagge. Die Botschaft: "Sie brauchen den Schaden nicht gutmachen. Wir möchten nur, dass die USA uns endlich in Ruhe lassen. Kuba braucht keinen Marshall-Plan", meint Kcho.
Seine Kunst stellt er dem "Widerstand gegen den imperialistischen Feind USA" zur Verfügung. Kcho ist linientreu, Castro-treu. Er sitzt sogar als Mitglied der Kommunistischen Partei Kubas im Nationalparlament. Wie viele Kubaner verehrt auch Kcho Kubas legendären Revolutionsführer und Máximo Líder, der am Samstag 90 Jahre alt wird. Es habe Kuba aber auch gutgetan, dass Fidel Castro vor zehn Jahren die Regierungsverantwortung an seinen Bruder Raúl übergab.
Raúl Castros Pragmatismus
Tatsächlich wäre es unter dem kommunistischen Hardliner Fidel wohl kaum zur Annäherung an den Erzfeind gekommen. Das zeigte auch Fidel Castros Leitartikel in der "Granma" nach dem historischen Besuch von US-Präsident Barack Obama im April. "Wir brauchen keine Geschenke vom Imperium", schrieb er in der Parteizeitung.
Sein Bruder Raúl sieht das ähnlich. "Doch Raúl ist viel pragmatischer. Er weiß, dass er Kuba öffnen muss. Er führte marktwirtschaftliche Elemente ein, lockerte die Reisefreiheit, startete eine außenpolitische Charmeoffensive", sagt Gerlinde Paschinger, österreichische Botschafterin auf Kuba. Weil Kuba dringend ausländisches Kapital braucht, wurde im März 2015 ein neues Auslandsinvestitionsgesetz verabschiedet, das für ausländische Investoren mehr Rechtssicherheit, Steuervergünstigungen und weniger Bürokratie bringen soll, erklärt Paschinger. Die sozialistische Tropeninsel ist längst nicht mehr so vom Rest der Welt abgeschottet wie vor Jahren noch und erlebt derzeit die wohl größte gesellschaftliche Umwälzung seit der Revolution 1959.
Seit drei Jahren dürfen Kubaner reisen, wohin sie wollen - auch wenn sie dafür nicht das nötige Kleingeld haben. Kubaner dürfen sich neuerdings auch selbständig machen, zumindest in 200 Berufen, Häuser und Autos kaufen. Langsam hält sogar das Internet Einzug auf der Castro-Insel. Rund 500.000 der elf Millionen Kubaner sind mittlerweile im aufstrebenden Privatsektor beschäftigt. Vor allem im Tourismusbereich, wo man von ausländischen Touristen in der Devisenwährung CUC bezahlt wird, die an den US-Dollar im Verhältnis 1:1 gekoppelt ist. Kleine Geschäfte, Restaurants, Hotels und private Unterkünfte, die via Online-Plattformen angeboten werden, schießen in Kuba wie Pilze aus dem Boden. Kuba boomt. Mehr als zwei Millionen Touristen haben Kuba bereits in der ersten Jahreshälfte besucht, zwölf Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Auch Enilda hat vor einem Jahr ihre Pension Villa Lagomar eröffnet. Früher war es ein halb-legales Restaurant und die Regierung schloss es wieder. Doch nun spürt auch sie die marktwirtschaftliche Öffnung und die damit verbundene Aufbruchsstimmung. Mit ihrem Ehemann Ramón vermietet sie in Los Cayuelos bei Guardalavaca direkt am Strand zwei kleine Zimmer in ihrem Haus. 30 CUC verlangt sie pro Nacht. Und nur selten bleiben die Zimmer leer. 30 CUC ist ein Vermögen in einem Land, in dem selbst Lehrer und Ärzte kaum mehr als 60 Dollar im Monat verdienen.
"Kuba verändert sich. Das ist gut. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht unter die Räder kommen", ist Enilda trotz der neuen Zukunftsperspektiven skeptisch. Wie nicht wenige ihrer Landsleute fürchtet auch die 68 Jahre alte Frau, dass es nun zum regelrechten Ausverkauf der Insel kommen könnte. "Ich habe gehört, dass die Amerikaner hier an der ganzen Küste nun riesige Hotelkomplexe bauen wollen", versichert Enilda.
Schaut man sich in der Hauptstadt Havanna um, scheinen ihre Sorgen über einen Ausverkauf des Landes nicht ganz unbegründet zu sein. Viele Gebäude sollen bereits inoffiziell vor allem von amerikanischen Unternehmen und Immobilienhändlern gekauft worden sein. Am Malecón, Havannas berühmter Uferpromenade, öffnen in altehrwürdigen Häusern hippe Bars, Design-Hotels und angesagte Restaurants mit internationaler Küche. Es sind Orte, die sich nur die wenigsten Kubaner leisten können. Die Anwohner mussten weichen. Der Tourismus bringt dem Staat schnelle Devisen. Der Ausbau der touristischen Infrastruktur hat mit Blick auf die chronisch leeren Staatskassen damit auch für das sozialistische Castro-Regime höchste Priorität.
Doch die Infrastruktur kann mit der Nachfrage kaum mithalten. Während dafür gesorgt wird, dass es bei den Frühstück-Buffets der Hotels an nichts fehlt, kommt es in den Supermärkten und Geschäften nicht selten zu Engpässen. Die Altstadt wurde für die Touristen aufwendig restauriert, während es immer weniger subventionierte Lebensmittel auf dem Markt gibt. Doch viele Kubaner sind immer noch auf die Essensmarken angewiesen, mit denen sie Reis, Milch und Eier bekommen.
Angst vor "McDonaldisierung"
"Sollten die USA die noch bestehenden Reisebeschränkungen ganz aufheben, platzt Kuba aus allen Nähten", versichert Reiseführer Jesús Noguera. Seitdem die USA und Kuba wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen haben und Washington das Wirtschaftsembargo und das Reiseverbot nach Kuba gelockert hat, habe er fast wöchentlich amerikanische Gruppen hier. Das löst bei nicht wenigen europäischen Touristen - und auch Kubanern - bereits die Angst vor der "McDonaldisierung" des Landes aus. "Ich höre das immer wieder von Touristen: Schnell nach Kuba, bevor die Amerikaner mit ihren McDonalds und Starbucks einfallen", bestätigt auch Noguera. Einerseits könne er diese Meinung verstehen, weil Kuba durch seine lange Isolation tatsächlich noch etwas Spezielles ist, anders ist. "Andererseits ärgert es mich. Die Ausländer suchen den Charme morbider Häuser und die Rückständigkeit des Sozialismus. Aber wir müssen in diesen Häusern, in diesem Land leben. Auch wir haben ein Recht, unser Leben zu verbessern."
Davon abgesehen: "Sie können Ihre österreichischen Landsleute beruhigen. Hier verändert sich so schnell nichts. Selbst wenn Fidel Castro irgendwann mal sterben sollte", versichert der Reiseführer. Tatsächlich hat sich an der Linie und Haltung der kubanischen Regierung auch nach der "Abdankung" Fidel Castros vor zehn Jahren nicht viel geändert. Kubas Politik ist heute weniger auf die Person des Máximo Lider konzentriert. Doch die alte Garde blieb am Ruder. Raúls Öffnung zur Welt ist zwar da, geht aber nur langsam vorwärts.
Raúl Castro ist sich bewusst, dass die Reformen und die Veränderungen nicht nur notwendig waren, sondern auch nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Öffnung und die sozialen Umwälzungen bergen allerdings auch die Gefahr, das sozialistische System zu zerstören. So ist das Misstrauen des Regimes vor allem gegenüber kritischen Künstlern, Bürgerrechtlern und Intellektuellen gerade in einer so politisch sensiblen Übergangsphase wie der heutigen sehr groß.
Dass Kritik selbst heute, da Kuba und die USA sich weiter annähern, ein hochriskantes Wagnis ist, weiß auch Tania Bruguera. Auf dem Platz der Revolution in Havanna wollte die bekannte Künstlerin Ende 2014 Landsleuten die Möglichkeit geben, in einer Performance ans Mikrofon zu treten und offen zu sagen, wie sie sich die Zukunft Kubas vorstellen. Das ging Staatschef Raúl Castro eindeutig zu weit. Ein halbes Jahr stand sie unter Hausarrest.
Die Kubaner wünschen sich schnellere Veränderungen und hoffen dabei auf die USA und das baldige Ende des Wirtschaftsembargos. Warum sich so viele Kubaner so viel von Obamas Annäherungspolitik versprechen, kann Künstler und Fidel-Castro-Freund Kcho allerdings nicht verstehen. "Wenn Donald Trump im November die US-Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte, ist es aus mit der Annäherung."