Die Menschen leben heute im Durchschnitt erheblich länger als vor hundert Jahren. Der Anteil der alten Menschen an der Gesamtbevölkerung hat stark zugenommen und wird noch weiter wachsen. Demgemäß treten auch altersbedingte Krankheiten häufiger auf. Weit verbreitet unter alten Menschen ist die sogenannte Demenz, ein allmähliches Nachlassen der geistigen Fähigkeiten. Das Erinnerungsvermögen, die Lernfähigkeit, das Orientierungsvermögen und so weiter lassen nach. Mit zunehmender Verschlechterung des Zustands kommt es im Rahmen der Demenz auch öfters zu Depressionen, zu akuter Verwirrtheit oder psychotischen Störungen.
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Bei den 60jährigen liegt die Häufigkeit von Demenz unter ein Prozent, bei den 80jährigen bei zehn, bei den 90jährigen über 30 Prozent. Bei Frauen und Männern gleichen Alters treten derartige Erkrankungen mit etwa gleicher Häufigkeit auf. Da aber Frauen im Durchschnitt länger leben, gibt es insgesamt deutlich mehr demente Frauen als Männer.
Die unmittelbare Ursache von Demenz ist ein beschleunigter Ausfall von Nervenzellen des Gehirns. Dies kann durch Durchblutungsstörungen im Gehirn (Mini-Infarkte) verursacht werden, oder auch durch Alzheimerkrankheit, in seltenen Fällen auch durch andere Krankheiten wie die mit dem Rinderwahn verwandte Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Bei Männern sind Blutgefäßstörungen häufiger, bei Frauen Alzheimerkrankheit.
Betreuung durch Hausarzt
In Europa leben etwa dreiviertel aller Demenzkranken zu Hause und werden von ihren Angehörigen betreut. Erst wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist, kommen sie in Pflegeheime. Die medizinische Betreuung der in Privathaushalten Lebenden erfolgt meist nur durch den praktischen Arzt.
Das hat Vorteile, weil der Hausarzt seine Patienten in der Regel gut kennt und meist auch in der Lage ist, die Möglichkeiten und Grenzen der familiären Betreuung richtig einzuschätzen. Es hat aber auch Nachteile, weil praktische Ärzte laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Demenzen im Frühstadium oft nicht rechtzeitig erkennen. Es kommt daher auch zu keiner Behandlung, die gerade wenn sie früh beginnt, die allmähliche Verschlechterung des Zustands oft beträchtlich hinausschieben kann.
Dass es solche Probleme auch in Österreich gibt, zeigt eine in der Zeitschrift "Neuropsychiatrie" (Bd. 13. S 122) veröffentlichte Studie von Johannes Wancata und Mitarbeitern von der Universitätsklinik für Psychiatrie der Universität Wien.
Aufnahmen in Pflegeheime
Untersucht wurden 249 neu in Pflegeheime aufgenommene Personen, sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum. Mehr als drei Viertel von ihnen waren Frauen, etwa 60 Prozent waren über 80 Jahre alt. Knapp zwei Drittel aller neu Aufgenommenen litten unter Demenz und von diesen knapp 60 Prozent zusätzlich auch noch unter Depressionen, akuter Verwirrtheit oder Psychosen.
Mehr als 90 Prozent dieser Personen waren im letzten Jahr vor der Einlieferung ins Pflegeheim mindestens einmal im Monat bei ihrem Hausarzt gewesen, ein beträchtlicher Teil von ihnen sogar jede Woche.
Doch einer oder eine der neu Aufgenommenen, die nur an Demenz ohne zusätzliche Symptome litten, und nur 12 Prozent der Demenzkranken mit Depressionen oder psychotischen Störungen waren im Jahr vor dem Eintritt ins Pflegeheim in Behandlung bei einem Psychiater gewesen. Nur 28 Prozent der ersten und 59 Prozent der zweiten Gruppe hatten in den letzten drei Monaten vor der Aufnahme einschlägige Medikamente erhalten. Auch in den Pflegeheimen werden die Demenzkranken meist nur von praktischen Ärzten betreut.
Aufnahmen in Spitälern
In einer zweiten Studie haben Wancata und Mitarbeiter in einem Spital in Wien und Ullrich Meise von der Universität Innsbruck in einem Krankenhaus im ländlichen Raum von Tirol festgestellt, dass von 608 an chirurgischen, internen und gynäkologischen Abteilungen neu aufgenommenen Patienten nicht weniger als 171 (28 Prozent) zusätzlich auch an einer psychischen Krankheit litten.
Doch nur ein Viertel dieser Personen hatte vorher eine psychiatrische Behandlung erhalten. Die Fachärzte der aufnehmenden Spitalsabteilungen hatten die zusätzlichen psychischen Erkrankungen oft nicht erkannt und keinen Psychiater zur Konsultation herangezogen.
Von diesen 171 Personen litten 56 an Neurosen und Anpassungsstörungen, 54 an Alkohol- und/oder Drogenproblemen, 49 an Demenzen, der Rest an anderen psychischen Erkrankungen. Bei den Süchtigen und bei den Dementen dauerte der Spitalsaufenthalt im Durchschnitt um einige Tage länger als bei vergleichbaren psychisch gesunden Patienten (Der Nervenarzt, Bd.70, S 810).
Zu wenig Psychiater?
Aus beiden Studien geht hervor, dass die medizinische Betreuung von Dementen und anderen psychisch Kranken oft unzureichend ist. Es wäre wünschenswert, dass praktische Ärzte in diesem Bereich besser ausgebildet werden, damit sie beginnende Demenzen schon im Frühstadium erkennen und behandeln können.
Überdies sollten psychiatrische Fachärzte sowohl von Hausärzten als auch in Spitälern und Pflegeheimen öfter zur Konsultation herangezogen werden. Doch vor allem außerhalb der Großstädte stehen oft nur wenige solche Fachärzte zur Verfügung, ein einziger muss neben seinen eigenen Patienten manchmal noch mehrere Spitäler und/oder Pflegeheime betreuen, man muss lange warten, bis man einen Termin bekommt, man muss lange im Wartezimmer sitzen und das alles ist gerade für psychisch kranke Personen eine starke Belastung.
Besserer Zugang zu psychiatrischer Behandlung würde die Lebensqualität vieler alter Menschen fühlbar verbessern. Die Einrichtung zusätzlicher Planstellen für Psychiater würde sich überdies auch volkswirtschaftlich bezahlt machen, weil Demente länger zuhause betreut werden könnten, was wesentlich billiger ist als der Aufenthalt in einem Pflegeheim; und auch die besonders teuren Spitalsaufenthalte würden sich verkürzen.