)
Schikanen am Arbeitsplatz sind in Österreich häufiger als im EU-Schnitt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Wer als "Tschusch" oder "S-Türke" ("Scheiß-Türke") beschimpft und von Kollegen permanent gemieden wird, mehrmals "Witze" über das eigene Kopftuch hören muss oder ständig unterfordert wird, der ist ein Mobbing-Opfer. Am österreichischen Arbeitsmarkt sind Schikanen besonders häufig, wie eine aktuelle Studie der European Working Condition Surveys zeigt. 7,2 Prozent klagen hierzulande über Psychoterror im Büro. Der EU-Durchschnitt liegt bei vier Prozent. Wie oft Migranten davon betroffen sind, ist unklar.
"Schikanen am Arbeitsplatz, die sich gegen Menschen ausländischer Herkunft richten, werden nicht erhoben", erzählt Irina Kanuscheva. Die Zahlen dürften aber sehr hoch sein, vermutet die Russin mit Universitätsabschlüssen in Deutsch und Pädagogik, denn viele Migranten würden in ihrem Job permanent unterfordert werden. Das gilt als Mobbing. Kanuscheva spricht aus eigener Erfahrung. Zwei Jahre lang hat sie bei einem Wiener Verein im Sozialbereich gearbeitet. Den 30-Stunden-Job hat sie aus finanzieller Not heraus angenommen. Nach zweijähriger Unterforderung ging ihr befristeter Dienstvertrag zu Ende, das neue "Jobangebot" im Verein war eine 20-Stunden-Stelle, die nicht einmal eine höhere Ausbildung erforderte. Die Russin verließ den Verein. "Viele Migranten haben Ähnliches erfahren. Keiner getraut sich darüber zu reden", erzählt Kanuscheva.
Kein Anti-Mobbing-Gesetz
Ob Migranten öfter Mobbing-Opfer sind, dazu will sich kein Experte äußern. Fälle wie jenen von Kanuscheva kennt aber auch Elisabeth Knizak, Psychotherapeutin und Mitbegründerin des Zentrums für Konflikt- und Mobbingberatung "Work & People". Bei ihr waren schon Akademiker ausländischer Herkunft, die unter Kollegen mit niedrigerer Qualifikation derselben Tätigkeit nachgingen und schief angeschaut wurden.
Mobbingbeauftragte in großen Unternehmen könnten bei Prävention und Aufklärung helfen, meint Knizak. Auch ein Anti-Mobbing-Gesetz, das es in Österreich im Gegensatz zu anderen EU-Staaten nicht gibt, wäre nützlich und würde die Rechtssprechung erleichtern. "Besonders schwierig fällt die Beweisbarkeit von Schikanen am Arbeitsplatz", sagt Knizak. Sie rät Betroffenen, den Psychoterror in einem Mobbing-Tagebuch festzuhalten.
Manche Opfer bekommen eine Schadenersatzzahlung, wie etwa eine höhere Management-Assistentin aus einer persisch-österreichischen Familie. Frau L. musste dauernd rassistische Bemerkungen, teils in Form von "Witzen", über sich ergehen lassen. Auch auf ihr Kopftuch, das sie ansonsten immer trägt, musste sie im Büro verzichten. 2010 wurde ihre Stelle gestrichen, sie wurde niedriger eingestuft. Frau L. lehnte ab, suchte Rat bei der Zara-Beratungsstelle für Opfer und Zeugen von Rassismus und konnte 2011 über eine außergerichtliche Einigung eine angemessene Schadenersatzzahlung durchsetzen.
Zara dokumentiert regelmäßig Mobbing aus rassistischen Gründen und unterstützt Mobbing-Opfer bei rechtlichen Schritten. Dazu gehört auch Mobbing im Wohnbereich. Das Spektrum reicht von haltlosen Beschwerden über Mitmieter bis zu verbalen Attacken wie "S-Türke" oder tätlichen Angriffen auf Nachbarn. "Das Problem beim Wohnbereich ist, dass das Gleichbehandlungsgesetz auf Diskriminierungen unter Nachbarn nicht anwendbar ist", erzählt Zara-Leiter Wolfgang Zimmer. Bei klassischem Mobbing am Arbeitsplatz durch Kollegen oder Vorgesetzte wiederum sei die Bereitschaft, dagegen vorzugehen, relativ gering, "aus verständlicher Angst vor Jobverlust".
Bediensteten der Stadt Wien - viele sind Migranten - steht ein unabhängiger Bedienstetenschutzbeauftragter der Mobbingberatungsstelle zur Verfügung. Etwa 100 Diskriminierungsfälle pro Jahr werden dort gemeldet. "Oft handelt es sich um dienstrechtliche Angelegenheiten", erzählt der Leiter Ernst Wursag. Bevor man eine Lösung sucht, klärt man mit dem Betroffenen, was er selber machen möchte. Eventuell wird dann interveniert, wenn der Wunsch dazu besteht.
"Es war nicht so gemeint"
Nicht jede Schikane am Arbeitsplatz ist gleich Mobbing. (Das Wort stammt aus dem Englischen "mob" und bedeutet anpöbeln, jemanden bedrängen, attackieren.) Über Mobbing spricht man, wenn die Schikanen mindestens einmal pro Woche stattfinden, mehr als ein halbes Jahr anhalten und die Handlungen gegen den Betroffenen nicht zufällig, sondern zielgerichtet sind. "Wenn Schimpfwörter wie Tschusch längere Zeit wiederholt werden, spricht man von Mobbing", erläutert Wursag. Solche Fälle gebe es bei der Stadt Wien aber selten. Der Bedienstetenschutzbeauftragte rät Betroffenen, Grenzen zu ziehen und klarzumachen, dass so ein Verhalten ihnen gegenüber unerwünscht ist. Die "Täter" erklärten dann oft: "Ich habe es nicht so gemeint."
"Mobbing kränkt Leib und Seele. Der Oberste Gerichtshof hat entschieden, dass durch Mobbing hervorgerufene gesundheitliche Beeinträchtigungen als Körperverletzung zu werten sind", erzählt Elisabeth Knizak. In Österreich würde die Mobbingrate steigen. Grund seien Konkurrenzdruck, die wirtschaftliche Lage und Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Ein bestimmtes betriebliches Umfeld könne Mobbing ebenfalls fördern, etwa eine unklare Aufgabenteilung, widersprüchliche Aufträge, fehlende Aufstiegschancen. Ihrer Erfahrung nach klagen Betroffene über physische Folgen (Kopf- und Magenschmerzen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme) und psychische Probleme (fehlende Konzentration, Depression). Hinzu kämen die volkswirtschaftlichen Folgen durch vermehrte Krankenstände und Spitalsaufenthalte, Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionen.
"Auch Österreicher beschweren sich über Mobbing von Migranten. Die Fälle sind aber selten", erzählt Ernst Wursag. So hätten etwa manche den Eindruck, Migranten würden am Arbeitsplatz bevorzugt und Österreicher benachteiligt werden.