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Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass Wahlkämpfe Zeiten galoppierender Unvernunft sind, dann könnte Österreich als eindrückliches Beispiel dienen. Zwar mag die von der SPÖ propagierte Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel aus wahltaktischer Sicht den von ihren Erfindern erhofften Effekt erzielen. Ökonomisch ist sie zweifellos eine der geistesärmeren Ideen der jüngeren politischen Geschichte Österreichs. Und zwar nicht in erster Linie weil damit, wie die ÖVP echauffiert anmerkt, auch der Erwerb französischer Schaumweine und russischer Fischeier steuerlich begünstigt würde. (Dies ließe sich durch Detailregelungen verhindern.) Sondern weil keineswegs sichergestellt ist, dass eine geringere Besteuerung angesichts des hierorts stark oligopolistischen Lebensmittelhandels auch tatsächlich niedrigere Endverbraucherpreise bewirkt. Und weil die Steuerhalbierung das ziemlich exakte Gegenteil von sozial treffsicher ist. (Ähnliches gilt auch für die Abschaffung der Studiengebühren, die dazu führte, dass mit den Steuern der weniger Verdienenden auch der kostenlose Universitätsbesuch von Kindern aus wohlbetuchten Familien finanziert würde.)
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Der aktuelle Wahlkampf setzt allerdings auch den ÖGB unter Druck. Dass der Gewerkschaftsbund diesmal Lohnabschlüsse unter der merkbar gestiegenen Inflationsrate kaum akzeptieren würde, war absehbar. Der vorwahlbedingte Parteienwettbewerb im Ankündigen substanzieller finanzieller Geschenke nötigt den ÖGB aber geradewegs dazu, diesmal von seiner bei Tarifverhandlungen in der Regel maßvollen Linie abzuweichen und besonders heftige Gehaltszuwächse einzufordern. Andernfalls liefen die Gewerkschaften Gefahr, im Vergleich (vor allem zur SPÖ) kraft- und mutlos zu erscheinen. Und das kann sich der ÖGB, der nach seiner existenziellen Krise erst langsam im Begriff ist, wieder Tritt und Glaubwürdigkeit zu finden, kaum leisten. Die Konsequenz ist freilich, dass die Lohn-Preis-Spirale erheblich beschleunigt werden wird - und die heimische Volkswirtschaft in Zeiten einer sich rapide abschwächenden Konjunktur erheblichen zusätzlichen Belastungen aussetzen wird.