Großer Schaden, keine Krise: Während der Vorsitzende der Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), Rudolf Nürnberger, nicht leugnen wollte, dass die Vorgänge in der Postgewerkschaft dem ÖGB schaden, bemühte sich Präsident Fritz Verzetnitsch um Relativierung. Von einem ÖGB-Skandal könne nicht die Rede sein, und auch die Urabstimmung werde wie geplant im September anlaufen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nein, der ÖGB habe nicht gezögert. Präsident Fritz Verzetnitsch sieht keinen Grund zur Aufregung, weil er tagelang zu den Vorgängen rund um Gehaltserhöhungen für Postgewerkschafter geschwiegen hatte. Es gebe im ÖGB eine klare Regelung, wer ihn im Urlaub vertrete, und Vizepräsidentin Renate Csörgits habe eben diese Aufgabe übernommen. Zu persönlichen Konsequenzen sehe Verzetnitsch ohnehin keinen Anlass. Denn "vorgeschobene Argumente" wie ein vermeintlicher Skandal im ÖGB lasse er nicht gelten.
Dass aber das Vorgehen der Postgewerkschafter keine Freude aufkommen lässt, wollten weder Verzetnitsch noch FSG-Vorsitzender Rudolf Nürnberger leugnen. "Es mag rechtlich in Ordnung sein, aber moralisch ist es nicht zu rechtfertigen", erklärte der ÖGB-Präsident. Nürnberger wiederum wollte seine erste Reaktion nicht preisgeben: Diese sei nicht druckreif gewesen. Die Vorgangsweise sei jedenfalls nicht zu akzeptieren.
Der Schaden für den ÖGB sei "extrem groß", liegt für Nürnberger auf der Hand. Welche Auswirkungen dies auf die Urabstimmung haben werde, wollte er jedoch nicht vorhersagen. Optimistischer gab sich in dieser Hinsicht Verzetnitsch. Er sei überzeugt, dass die Mitglieder unterscheiden können zwischen "nicht erklärbaren Vorfällen und dem Wunsch nach der Urabstimmung". Diese werde, wie geplant, von 24. September bis 15. Oktober stattfinden.
Mit der Offenlegung der Gehälter des Präsidiums preschte die ÖGB-Spitze dann nach vorne. "Unsere Finanzen sind transparent", betonte Nürnberger und fing gleich bei sich an. Er verdiene 92.232 Schilling netto, wovon rund 20.000 Schilling Parteisteuer und Spesen abzuziehen seien. Auch Verzetnitsch sah kein Problem darin, die Höhe seines Gehalts kundzutun, verlangte aber dasselbe von "allen anderen Menschen, die die öffentliche Meinung gestalten".
Für ÖVP Schönrednerei
Mit positiven Reaktionen hatte der ÖGB kaum zu rechnen. Präsident Verzetnitsch könne die Krise nicht schönreden, meinte etwa ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat. Die Gewerkschaftsführung sei "auf frischer Tat ertappt worden". Faktum sei, "dass sich ein paar Spitzenfunktionäre offensichtlich selbst bedient haben".
Schärfer formulierte es FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler. Den Auftritt Verzetnitsch bezeichnete er als "weitere Verhöhnung der Gewerkschaftsmitglieder". Zu behaupten, der ÖGB habe schnell reagiert, sei eine "Frotzelei". Verzetnitsch solle zurücktreten, wenn bei der für heute, Dienstag, angesetzten Präsidiumssitzung nicht geklärt werde, dass die Urabstimmung auch zu einer Befragung über die Höhe der Gehälter der Gewerkschaftsführung benützt werde.
Die Grünen wiederum hegen Zweifel an der Vollständigkeit der Angaben des ÖGB und verlangen weiterhin "schonungslose Offenlegung". Wenn Verzetnitsch keine Krise erkennen könne, beginne damit "eigentlich schon die nächste Krise", stellte Sozialsprecher Karl Öllinger fest.
Lediglich die SPÖ reagierte positiv. Bundesgeschäftsführerin Doris Bures sah mit der Offenlegung die Forderung nach Transparenz erfüllt.