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Oh, du mei schiache Weanastod!

Von Judith Belfkih

Leitartikel

Geheimes Rezept? Städterankings interessieren die Wiener Seele herzlich wenig.


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Jetzt sind wir also wieder Platz 1. Sogar mehrfach. Das Magazin "Monocle" und die Zeitschrift "The Economist" haben dieser Tage unabhängig voneinander Städterankings in Sachen Lebensqualität publiziert. Erstmals bzw. erneut angeführt von Wien. Und wenn man von der mitunter subjektiven Methodik und der generellen Sinnhaftigkeit dieser Rankings absieht: Wien taucht in verlässlicher Regelmäßigkeit an der Spitze derartiger Listen auf. Aber was macht Wien so einzigartig als urbane Insel der Seeligen?

Fragt man die Rankingmacher, so nennen sie Indikatoren wie vielfältige Mobilitätskonzepte, subjektive wie objektive Sicherheit, aber auch Faktoren wie den Zugang zu öffentlichen Schwimmbädern. Fragt man die politisch Verantwortlichen der Stadt, so ist die Antwort ebenfalls erwartbar: Ein umsichtiges Stadtentwicklungskonzept, sozialer Wohnbau, der international Aufmerksamkeit erregt, das niederschwellige kulturelle Angebot, die medizinische Versorgung (trotz aller Debatten), das dichte Öffi-Netz und die zentralen Naherholungsgebiete. Dazu kommt der Verweis auf das aus der Monarchie gewachsene Selbstverständnis der Stadt als postimperialer Schmelztiegel von Sprachen und Kulturen.

Fragt man hingegen die Wienerinnen und Wiener, wie es ihnen damit geht, im real gewordenen Stadt-Paradies ansässig zu sein, so sieht die Sache anders aus. Denn was den eingesessenen Wiener wohl am stärksten an seine Heimatstadt bindet, ist seine stete Unzufriedenheit mit ebendieser. Jenseits der viel besungenen Wein- und Leutseligkeit lässt das Gros der Wiener kaum ein gutes Haar an dieser Stadt- ein Granteln, Jammern und Meckern gehört zum Hintergrundrauschen dieser Stadt wie der Donauwalzer und das Klappern von Pferdehufen.

Was auf den ersten Blick wirkt wie die ignorante Undankbarkeit, erweist sich auf den zweiten als das geheime Rezept hinter dem Erfolgsmodell Wien. Hinter der ständigen Kritik lässt sich jener Perfektionismus orten, der den Status quo immer neu hinterfragt, auf stete Verbesserung aus ist, die Stadt lebendig hält. Aber: Gut getarnter Perfektionismus reicht nicht. Gepaart mit der berüchtigten Morbidität eines fröhlich gelassenen Tanzes auf der Kippe mindestens zum Weltuntergang ergibt das eine einzigartige Mischung aus einem entrüsteten "Hearst, sicha ned" und einem gütig resignativen "Basst scho!"

Diese liebenswert sperrige Bodenständigkeit, diese gutherzige Verdrossenheit hat einen festen Platz in der Wiener Seele - im Gegensatz zum Schielen auf Städterankings.