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Oh, Du mein Österreich

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Mut und Fortschrittsgeist hatte zuletzt immer mehr einer Politik der Gefühle Platz gemacht. Nun sollte es wieder heißen: Mutig in die neuen Zeiten.


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Österreich, die Musiknation par excellence, leistet sich den Luxus von gleich vier Nationalhymnen: Deutschland wurde Joseph Haydns Melodie des Kaiserlieds spendiert, eine Melodie von Franz von Suppé verarbeitete der Militärkapellmeister Ferdinand Preis zum Marsch "Oh Du mein Österreich" der Donauwalzer markiert jeden Jahreswechsel im Land und dann gibt es noch die "original" Bundeshymne, die sogar Gesetzesstatus (BGBl. I Nr. 127/2011) genießt. In der Bundeshymne heißt es in der zweiten Textzeile erst seit dem 1. Jänner 2012 "Heimat großer Töchter und Söhne". Die Rechts-Außen-Parteien FPÖ und BZÖ hatten in trauter Eintracht mit der "Kronen Zeitung" die Modernisierung der Hymne als "Genderklamauk" abgetan und den zeitgemäßen Text jahrelang blockiert.
Mutig in die neuen Zeiten ist die zweite Republik zuletzt weniger geschritten.

Dabei hatte sich Mut in der Vergangenheit stets gelohnt: 1955 war endlich der Gedanke von 1918 überwunden, als man glaubte das kleine Österreich sei nach der Niederlage der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg nicht lebensfähig. "L'Autriche, c'est ce qui reste" hatte der französische Premier Georges Clemenceau bei den Friedensverhandlungen im Pariser Vorort St. Germain definiert, Österreich, das war der Rest, der nach dem Zerfall der Donaumonarchie übrig geblieben ist. Links und Rechts, Progressiv und Konservativ, laizistisch und klerikal, Stadt und Land standen einander bald unversöhnlich gegenüber, die Austrofaschisten errichteten 1934 einen konservativ-klerikalen autoritären Staat. 1938 hatten die Massen Adolf Hitler nach dem "Anschluss" zugejubelt, 1945 lag das Dritte Reich in Trümmern aus der die Zweite Republik unter Okkupation der Alliierten entstand.
1955 hatte man die Lektion gelernt und Mut gefasst: Der kleine Staat im Herzen Europas hat Zukunft. Die beiden politischen Lager zogen an einem Strang, die Regierung verfolgte eine vorausschauende und umsichtige Außenpolitik.

Die Alliierten zogen ab, der Preis war die "immerwährende Neutralität", der auch der Nationalfeiertag gewidmet ist. Österreich blieb das Schicksal Deutschlands – eine Teilung zwischen russisch besetzter Osthälfte (Oberösterreich nördlich der Donau, Niederösterreich, Burgenland) und einer von den Westmächten besetzter Westhälfte erspart. Wäre es auch in Wien – wie auch in Berlin 1961 – zum Mauerbau gekommen, hätte das die Stadt an der Donau nicht wie Stadt an der Spree zerschnitten, sondern regelrecht zersplittert. Denn "Ost-Wien", das hätte nicht nur alle Bezirke östlich der Donau und des Donaukanals, sondern auch den IV. und X. Bezirk eingeschlossen. Nur ein paar Monate später und der immer heißer werdende Kalte Krieg hätte die Neutralitätspläne Wiens womöglich vereitelt.

1995 dann der nächste Schritt nach vorn: Nach dem Fall des eisernen Vorhangs wuchs Europa wieder zusammen, Österreich trat gemeinsam mit Finnland und Schweden der EU bei – davor waren (außer Griechenland) nur westeuropäische Länder Mitglied. Das brachte das Land in die komfortable Lage, zu einer Drehscheibe zwischen Ost und Westeuropa zu werden, mit dem nächsten Erweiterungsrunden 2004, 2007 und 2013 rückte Österreich von der Peripherie der Union ins Zentrum, aus dem "Ostcharme mit Westkomfort"-Land Österreich wurde eines der reichsten Länder der EU.

Doch Mut und Fortschrittsgeist machte immer mehr einer Politik der Gefühle Platz. Weil die classe politique immer weniger Verwendung für Visionen und Träume hatte, waren die Proponenten der Politik vor allem dagegen: Gegen Ausländer, gegen die "Bürokraten in Brüssel", gegen den UN-Migrationspakt, gegen "Umverteilung". Aus einer Politik des Dagegen, einer Politik, die Ideale für naiv hält, erwächst – wie sich zuletzt gezeigt hat – Korruption und Unmoral. Unwürdig für ein Land, das gleich vier Nationalhymnen hervorgebracht hat.

Die ersten fünf Wörter der dritte Strophe der Bundeshymne lauten: Mutig in die neuen Zeiten.