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Das World Wide Web, gerade einmal dreißig Jahre alt, ist zugleich Brenn- und Zerrspiegel menschlicher Kommunikation.
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"Gebt mir einen Hebel, der lang genug, und einen Angelpunkt, der stark genug ist", hat Archimedes schon in der Antike verkündet, "dann kann ich die Welt mit einer Hand bewegen." Das wünscht man sich, die Hand auf der Computertastatur, gelegentlich auch als Journalist. Allein: In der kommunikativen Kakophonie, die rund um den Globus wütet, ist eine Zeitungskolumne kaum mehr als als ein Fliegenschiss unter Milliarden weiteren Fliegenschissen. Es hat sich dennoch der Hebel verändert und, ja, der Angelpunkt verlagert. Zugunsten des viel zitierten kleinen Mannes (der freilich auch weiblichen oder sonstigen Geschlechts sein darf). Das hat mit der Erfindung des World Wide Web zu tun - das gerade einen runden Geburtstag feiert. Am 12. März 1989 hatte ein junger britischer Informatiker namens Tim Berners-Lee die Idee, einen universellen Standard für die Übermittlung, Archivierung und Abrufbarkeit von Informationen im Internet zu schaffen. Die Reaktion seines Chefs im europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf war positiv: "Vage, aber spannend." Die Idee hat sich durchgesetzt. Heute sehen wir das Kürzel WWW längst als selbstverständliches Synonym für die unendlichen Weiten des Cyberspace (technisch betrachtet ist das allerdings unpräzise bis falsch, weil es nur ein Dienst unter vielen ist). Berners-Lees Kopfgeburt wird von mehr als vier Milliarden Menschen genutzt, allein in Österreich sind es 88 Prozent der Bevölkerung. Tim Berners-Lee ist nicht wirklich zufrieden mit der Entwicklung. "Die Hälfte der Menschheit nutzt dieses Ding nun. Man muss Abstand nehmen und um Netzneutralität, Privatsphäre, die Kontrolle über die eigenen Daten und die freie Meinungsäußerung kämpfen", merkte er bei einer Jubiläumsfeier an. "Aber es wäre defätistisch und einfallslos anzunehmen, dass das Netz in den nächsten dreißig Jahren nicht zum Besseren verändert werden kann." Folgerichtig hat der Vater des World Wide Web im Herbst des Vorjahres ein neues Projekt namens "Solid" vorgestellt: eine Plattform, in der Nutzer persönliche Informationen in eigenen Speicherbereichen verwalten und selbst entscheiden, wem sie Zugriff erlauben und wem nicht.
Aber gibt es das nicht schon längst? Das Gehirn des Menschen ist ja, ausgestattet mit unglaublicher Speicherkapazität und stupender nicht-künstlicher Intelligenz (bzw. Unintelligenz, die Maschinen aber immer noch Lichtjahre voraus ist) ungebrochen ein an seinen Besitzer gebundener, höchst persönlicher Emotions-, Erinnerungs- und Wissens-Tresor. Wem ich welche Daten aus diesem individuellen Speicher offenlege, ist meine Entscheidung. Denken vor dem In-die-Tasten-Klopfen hilft dabei.
Mit Einschränkungen freilich: Unfreiwillige Spuren und reichhaltige Datenabfälle hinterlassen wir täglich im Netz, Big Data ermöglicht detektivistische Verknüpfungen im großen Stil. Und das Internet hat sich längst vom Instrument der Freiheit zu einem (partiellen) Tempel der Geschäftemacherei, Sumpf der Niedertracht und Vorgarten der Überwachung gewandelt. Ist der Mensch also die Schwachstelle? Sagen wir mal so: Diese Frage stellt sich nicht erst seit der Erfindung des Word Wide Web.