Zum Hauptinhalt springen

Ohne Alternative

Von Simon Rosner

Leitartikel

Entscheidungen zu treffen fällt der Politik derzeit schwer.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Jetzt ist die Stunde der Politik. Seit Beginn der Pandemie haben das Infektionsgeschehen und die Auswirkungen der Maßnahmen de facto die Entscheidungen getroffen, da diese, jeweils zu ihrer Zeit, alternativlos waren, seien es die Lockdowns im Frühjahr und Herbst, sei es die Phase der Öffnungen im Sommer.

Natürlich haben einige Länder (und damit die dortige Politik) im Detail bessere und schlechtere Entscheidungen getroffen und sind mit geringeren oder eben höheren Schäden durch die Krise gekommen. Doch aus der Distanz betrachtet, wo Details verschwimmen, waren die Unterschiede nicht so groß. Wenn die Zahlen nach oben gingen, antworteten alle mit Kontaktbeschränkungen, bis sie irgendwann im Lockdown waren. Im März früher, im Herbst später, in einigen Fällen (siehe Österreich) zu spät. Timing war und ist alles.

Ebenso war immer klar, dass Lockdowns keine langfristige Antwort sind. Keine Volkswirtschaft kann über Jahre in einem solchen Zustand verharren, Menschen wie Wirtschaft halten das nicht aus. Daher lockerten auch alle Länder, vor allem im Sommer, teilweise auch zwischendurch. Es war die Vorstellung, mit "Hammer und Tanz" durch diese Pandemie zu kommen.

Mittlerweile ist klar, dass der Teil mit dem Tanz so nicht geht. Epidemiologen sind sich einig, dass nur mit ganz niedrigen Fallzahlen getanzt werden kann. Die hatten wir im Sommer, aber es braucht auch Begleitmusik dazu, etwa Tests, FFP2-Masken und Reisebeschränkungen. Doch zu ganz niedrigen Zahlen gelangt man nicht mehr: Winter, Varianten, Erschöpfung - es ist, wie es ist. Die Wissenschaft wird deshalb aber auch nichts anderes raten. Aus epidemiologischer Sicht müssen die Zahlen weiter runter, das ist alternativlos.

Die Alternativlosigkeit weiterer Öffnungsschritte wird allerdings auch von jenen betont, denen nach Monaten im Lockdown wirtschaftlich endgültig die Luft auszugehen droht. Das ist in Österreich nicht anders als in Deutschland. In genau so einer Situation schlägt die Stunde der Politik. Wer, wenn nicht sie, soll hier Entscheidungen treffen?

Doch es fällt den Regierenden schwer. In Österreich genauso wie in Deutschland gab es zähe Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Länderchefs. Und beschlossen wurden nicht Öffnungen, sondern nur Öffnungspläne. Und da wie dort deutet viel darauf hin, dass sich die Pläne so nicht realisieren lassen werden, wenn die Fallzahlen tun, was Epidemiologen von ihnen erwarten: nämlich deutlich steigen.

Die Politik, die sich seit Beginn der Pandemie als entschlossen und entscheidungsfreudig inszeniert, wirkt ausgerechnet jetzt, wo ihre Stunde wirklich schlägt, eher ratlos und unsicher. Und das Bittere dabei: Auch diese Ratlosigkeit ist eigentlich alternativlos.