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Am Sonntag stimmt die Schweiz über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Der Vorstoß wäre finanzierbar, dürfte aber keine Chance haben.
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Zürich. Es ist eine Premiere: Erstmals entscheidet ein westliches Land darüber, ob es künftig allen Einwohnerinnen und Einwohner auch ohne Arbeit einen Lohn auszahlen will. Die Autoren der Volksinitiative, über die am Sonntag in der Schweiz abgestimmt wird, schlagen ein bedingungsloses Grundeinkommen vor, das "der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben" ermöglicht. Stimmen die Schweizerinnen und Schweizer zu, dann stünde dieser Satz in der Bundesverfassung. Regierung und Parlament müssten einen Weg finden, ihn umzusetzen.
Grundeinkommen wäre finanzierbar
Die Autoren Christian Müller und Daniel Straub haben mit anderen Initianten vor vier Jahren ein konkretes Modell vorgeschlagen: Jeder Erwachsene würde monatlich 2500 Franken (2262 Euro) erhalten, Kinder und Jugendliche 625 Franken (565 Euro). Dabei würde sich für die meisten Schweizerinnen und Schweizer nichts ändern: Wer mehr als 2500 Franken verdient, bekäme künftig den einen Teil als Grundeinkommen, den anderen als Lohn. Nur wer bisher weniger verdient, bekäme mehr.
Ein Grundeinkommen in dieser Höhe wäre durchaus bezahlbar, wie auch die Bundesverwaltung vorgerechnet hat. Danach hätten die Gesamtkosten für das Jahr 2012 bei 208 Milliarden Franken (188 Milliarden Euro) gelegen. Gleichzeitig hätte auf Sozialleistungen in Höhe von 55 Milliarden Franken verzichtet werden können. Von den verbleibenden 153 Milliarden Franken wären 128 Milliarden Franken durch diejenigen Löhne gedeckt gewesen, die 2500 Franken übersteigen.
Klare Mehrheit gegen das Modell
Die verbleibende Lücke von 25 Milliarden Franken könnte durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 8 Prozent gedeckt werden. Da diese derzeit 8 Prozent beträgt, käme sie auch danach nur auf 16 Prozent - immer noch weniger als in allen Nachbarländern der Schweiz. In Österreich lägen die Kosten für ein bedingungsloses Grundeinkommen bei etwa 80 Milliarden Euro - das sind mehr als das gesamte Bundesbudget.
Und dennoch ist die Unterstützung in den etablierten Parteien für die Initiative gering. Im Nationalrat wurde sie nur von 19 Abgeordneten unterstützt, etwa einem Viertel des rot-grünen Lagers, und von 157 Abgeordneten abgelehnt. Im Ständerat, der kleineren Kammer, stimmte gar nur ein Abgeordneter für die Initiative, 40 dagegen. Im Volk sieht es ähnlich aus: Laut einer Umfrage des öffentlich-rechtlichen Senders SRG wollten Ende April nur 24 Prozent der Befragten für die Initiative stimmen.
Zuwanderung macht Angst
Die geringe Unterstützung hat verschiedene Gründe. Zum einen haben es linke Initiativen in der Schweiz immer schwer. Zum anderen ist der Staat traditionell zurückhaltend, die Staatsquote niedrig, anders als etwa in Finnland, wo ein Pilotprojekt die Machbarkeit des Grundeinkommens testen soll. Vor allem aber löst das Grundeinkommen keine Probleme, die den Schweizern unter den Fingern brennen.
Wenn es derzeit ein Problem gibt, das die Schweizer umtreibt, so ist es die Zuwanderung. Und dieses Problem würde durch ein Grundeinkommen nicht schwächer. Deswegen hat sich mit dem ehemaligen sozialdemokratischen Regierungssprecher Oswald Sigg sogar einer der Mitinitianten gegen das Grundeinkommen gewandt.
Wie sehr die Zuwanderung die Schweizer umtreibt, machte die Annahme der Zuwanderungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei im Februar 2014 deutlich. Die Initiative verlangt, die Zuwanderung durch Kontingente und den sogenannten Inländervorrang zu steuern. Das widerspricht eigentlich dem geltenden Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union, dem zufolge EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in die Schweiz kommen und hier arbeiten können, als sei die Eidgenossenschaft ein EU-Mitglied.
Firmen verlagern nach Osteuropa
Auffällig war, dass 2014 gerade die Speckgürtel um die Städte der Initiative zustimmten: Dort, wo die Schweizer Mittelschicht lebt, ging die Angst um vor der Konkurrenz aus dem EU-Ausland. Nicht mehr der polnische Installateur, sondern der französische Architekt, der deutsche Journalist, der Arzt aus Ungarn oder der Banker aus Großbritannien wurden nun als Konkurrenz angesehen - und das im eigenen Büro.
Inzwischen hat sich diese Bedrohung noch verstärkt: Seit der Franken gegenüber dem Euro im Jänner 2015 schlagartig um ganze 10 Prozent aufgewertet wurde, verlagern viele Unternehmen ihre Arbeitsplätze ins Ausland. Anders als früher sind nicht mehr nur Industriearbeitsplätze bedroht. Unternehmen aller Art verlagern administrative Arbeiten wie Buchhaltung und Personalwesen nach Osteuropa. Krakau, Breslau oder Preßburg sind jetzt heiße neue Standorte für Stellen aus der Schweiz. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz selbst steigt denn auch. Laut Schweizer Statistiken liegt sie noch immer bei 3,5 Prozent. Aber nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation erreicht sie bereits 5 Prozent und ist damit höher als in Deutschland oder Tschechien.
Angesichts dieser Unsicherheiten ist die Lust der Schweizerinnen und Schweizer auf soziale Experimente gering. Wenn die Mittelschicht sich fragt, ob sie auch in Zukunft 8000 bis 12.000 Franken pro Monat verdienen kann, ist ein Grundeinkommen von 2500 Franken wenig verlockend. Davon kann sie ihre Hypotheken und das Studium ihrer Kinder nicht bezahlen.