Im besten Falle steckt nicht die Demokratie selbst in der Krise, sondern nur ihre Institutionen.
Die Demokratie und ihre Mechanismen kommen nicht aus den Schlagzeilen. Österreich debattiert über gutes und nicht ganz so gutes Schwarz-Blau, beobachtet, wie die Sozialdemokratie an ihrer Spaltung feilt, zuckt bedauernd mit den Schultern, wenn eine Tageszeitung ausradiert wird. Auch jenseits des heimischen Tellerrandes differenzieren sich Spielarten des Demokratischen weiter: In Griechenland lässt der Premier erneut wählen, um keine Koalition bilden zu müssen. In Spanien waren Stimmen käuflich. In der Türkei hält sich der Präsident durch ein bis in jede Nervenzelle des Landes aufgebautes Netz an der Macht. In den USA versucht der Ex-Präsident sich über die Sozialen Netze ins Amt zurück zu pöbeln. Er hat dazugelernt und dafür sein eigenes Medium gegründet.
Doch unter welchem Schlagwort lassen sich all diese Entwicklungen zusammenfassen? Erleben wir, wie oft heraufbeschworen, eine veritable Krise der Demokratie? Bröckelt ihre jahrtausendealte Fassade, weil ihr hehrer Grundgedanke durch die Arroganz abgehobener Politikeliten mit ihrem ausgeklügelten Postenschacher, durch gezinkte Studien oder findige Wahlkreistricksereien ausgehöhlt worden ist? Sind die Zeiten der Aufklärung endgültig vorbei und wir den damit verbundenen Weg zur Mündigkeit informierter Bürgerinnen und Bürger an ein Ende gegangen? Entsprechen populistische Autokratien und eine von KI und Profit verzerrte Informationsöffentlichkeit unserer inneren Verfasstheit als Gesellschaft einfach eher? Im schlimmsten Falle ja, ja und noch einmal ja.
Im besten Falle handelt es sich nicht um eine Krise der Demokratie, sondern um eine der demokratischen Systeme, um ein Nachjustieren der Mechanismen, mit denen sich auf Mehrheiten beruhende Staatsformen organisieren. Im besten Falle geht nicht die Demokratie selbst zugrunde, sondern befeuern die Erosionserscheinungen einen überfälligen Reinigungsprozess, ersteht wie der Phoenix aus der Asche der demokratische Gedanke ihrer auf Irrwege geratenen politischen Klasse neu - frisch maßgeschneidert für die Herausforderungen der Gegenwart.
Der Kulturphilosoph Urs Sommer nannte es eine Krise der Repräsentation. Gesellschaften sind längst nicht mehr so homogen, Wählergruppen längst nicht mehr so geschlossen, so seine These, als dass sie einmal alle vier Jahre jemanden bestimmen könnten, der alle politischen Entscheidungen für sie fällen soll. Doch auch dieser möglichen Neukalibrierung von Politik wird ihr gründlicher Niedergang vorhergehen müssen. Ohne Feuer keine Asche, ohne Asche kein Phoenix. Im besten aller Fälle.